Predigt Diakonie-Gottesdienst zu “Türen der Gerechtigkeit”

Glücklich die, denen Gerechtigkeit unter die Haut geht!

Glücklich die, die nicht abstumpfen – wo war eigentlich der letzte Terroranschlag, London, Paris, Stockholm Manchester, Istanbul? -!

Glücklich die, deren ein Kompass geblieben ist, wo die Koordinaten der Welt durcheinander zu geraten scheinen.

[Link: zu den “Türen  der Gerechtigkeit” und ihren Beschreibungen: hier]

 

Freuen dürfen sich die, sagt Jesus in der Bergpredigt, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, wie nach einem Stück Brot und nach einem Schluck Wasser, als wäre Gerechtigkeit wie die Luft zum Atmen.

 

Ja, lange ging es „uns“ nicht so gut in diesem Land. Aber wer ist „uns“? Und selbst denjenigen, den es gut geht im Land, sagen überwiegend: Es geht nicht gerecht.

 

„Gerechtigkeit“ – ist das ein Schlagwort für den Wahlkampf oder mehr?

 

Gilt für uns als Kirche noch die „vorrangige Option für die Armen“? Streiten wir noch darüber, ob die Seligpreisungen der Bergpredigt erfüllbar sind oder nicht? Ob sie nur für die Frommen, den engsten Jüngerkreis Jesu galten, kurz vor dem erwarteten Gottesreich, oder ob man auch heute mit der Bergpredigt Politik machen kann?

 

Glücklich die,

denen Gerechtigkeit unter die Haut geht!

 

II.

Als wir die Türen auf den Weg in unsere Einrichtungen gaben, waren wir nicht sicher, was passieren würde. Nicht nur, dass wir heute – anders als vor 500 Jahren – nicht mehr an Türen schlagen, was uns wichtig ist und in der Öffentlichkeit debattiert werden soll – wir waren gar nicht sicher, wie ein schillernder Begriff wie „Gerechtigkeit“ konkret umgesetzt werden könnte. Und inwieweit Gerechtigkeit im Blick ist in Einrichtungen, die unterstützen, fördern, helfen, also den Blick oft und berechtigt auf den Einzelnen richten.

 

Heute sind wir froh, dass wir erleben: Mitarbeitende, Bewohner und Klienten – sie haben sehr wohl eine Vorstellung  von Gerechtigkeit (und Ungerechtigkeit), oft aus dem eigenen Erleben heraus, immer tiefgehend und reflektiert. Und vor allem: Sie geben den Menschen eine Stimme, die sich Ungerechtigkeit erleben und sich nach Gerechtigkeit sehnen.

 

Schauen Sie sich im Nachgang des Gottesdienstes diese Türen an: Da geht es um einen gerechten Zugang zu Arbeit für Menschen mit Behinderung. Um die Gleichheit aller Menschen. In Piktogrammen ist ein glückender Tagesablauf dargestellt.

 

Ein Kamel kommt nicht durchs Nadelöhr, sondern durchs Schlüsselloch. Unsere Schuldnerberatung schaut eben nicht nur auf Entschuldung ihrer Klienten, sondern hat ungerechte Vermögens- und Einkommensverhältnisse im Blick – und wie sehr Reichtum oder Schulden den Blick auf die Beziehung zum Nächsten verstellen kann.

 

Große Worte sind verewigt: „Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen“ (Martin Luther King)

 

Eine Tür hat Löcher: tatsächlich, Türen können auch etwas Trennendes haben und Begegnungen unterbinden.

 

Und, und, und.

 

 

III.

Auf einer Tür ist ein Spiegel aufgeklebt: „Wie gerecht bist du?“

Eine geradezu gefährliche Tür, denn spätestens hier scheitere ich.

Auch wenn mir Gerechtigkeit nicht egal ist – beim Blick in den Spiegel kommen, bin ich eher gefangen:

im „es ist nie genug“, ,

im „wo fange ich an?“,

im „das wird sich niemals ändern“,

 

Die Gerechtigkeit, die Bergpredigt, wird zur Überforderung. Macht mich stumm in dieser ungerechten Welt, oder resignierend.

 

Es wird nie genug sein ….

 

Mit diesem Spiegelbild – und diesem Gefühl – sind wir in guter Gesellschaft und mitten in der Lebenskrise des jungen Martin Luther und seiner reformatorischen Idee. Als er auf sein Leben zurückblick schreibt er über sich – in einer Zeit, in der das Leben komplett religiös gedeutet wurde:

 

„Ich konnte vor Gott nie genug tun. Ich hasste den gerechten Gott, der die Sünder bestraft. Tag und Nacht dachte ich darüber nach, bis ich auf den Zusammenhang der Worte aufmerksam wurde (Röm 1,17): ‚Gottes Gerechtigkeit wird darin offenbart, … wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus Glauben“‘ Da begann ich zu verstehen, dass Gottes Gerechtigkeit ein Geschenk ist. Ich fühlte mich wie neu geboren.“

 

Man kann vor Gott nie genug tun, um gerecht zu werden. – Womöglich ist das heute auch gar nicht mehr das Ziel der meisten Menschen, aber den Mechanismus kennen wir gerade auch in sozialen Berufen: Wir schaffen nie genug. Wir blockieren, wir fügen uns ein, wir resignieren, anstatt etwas zu verändern.

 

Luther lernte einen Gott kennen, der aus Liebe verzeiht, der Unvollkommenheit des Menschen gnädig begegnen. Mit dieser Gnade im Herzen erwuchs Luther Mut und unbändige Kraft, und eine innere Freiheit, die zu einer großen Triebfeder wurde.

 

Ein Beispiel, das auch für das soziale Leben wichtig wurde: Hatte Luther selber als Bettelmönch in Erfurt täglich um Almosen gebettelt – und Gottes Güte ihm gegenüber auch an dem Ertrag festgemacht, so schaffte er später das Almosenwesen ab. Es ging ja gar nicht um den Armen, sondern um den Verdienst des Mönches vor Gott! Stattdessen brachte Luther das Kastenwesen auf den Weg – erste Sozialkassen, die – mit Blick auf die Hilfsbedürftigen – für einen sozialen Ausgleich in den Städten sorgten.

 

IV.

Mit Luthers Erkenntnis zurück zur Bergpredigt: Natürlich steckt der Anspruch in den Sätzen, dass sich die Verheißungen erfüllen: Freuen dürfen sich alle, die nach Gerechtigkeit hungert und dürstet! – Gott erwartet von uns Menschen, dass wir seine Weisungen, seine Gebote umsetzen. Sie ermöglichen nämlich Recht und Gerechtigkeit. Wir werden aber immer wieder scheitern: Dann versetzt uns Gott neu in die Möglichkeit, auf seine Welt hin zu arbeiten!

 

Natürlich kann man mit dem Geist der Bergpredigt versuchen, Politik zu machen – womit denn sonst?! Sicher nicht Tagespolitik, aber die Reformation war eine Bewegung, die Welt in Frage gestellt hat – aus der inneren Freiheit heraus, dass man allein Gott zu vertrauen hat.

 

Und: Natürlich sind wir in der Diakonie bei Sätzen wie „Freuen sollen sich, die dürsten nach der Gerechtigkeit“ nicht auf der Seite der Macher. Wir sind zu allererst Adressanten von Gottes Zuspruch und seiner Liebe. Die Bergpredigt ist von zwei Seiten zu lesen: als Ansporn, aber auch als Versprechen:

 

Freuen darfst du dich, wenn dich selbst nach Gerechtigkeit dürstet – zum Beispiel über Türen, die andere gestaltet haben. Weil du dadurch neu auf den Weg der Gerechtigkeit gewiesen bist, den Gott dir zutraut, zu gehen!