Keine bleibende Stadt (Zur Jahreslosung 2013)

„Wir kommen von Weihnachten her, haben es – wenn wir viele andere Sinneseindrücke beiseiteschieben konnten – bis unter die Krippe geschafft: Unser Blick auf das Jesuskind. Hier wollen wir bleiben!

Predigt – St. Matthäus Altena

Neujahr zur Jahreslosung 2013 #Hebr 13,14

 

Hier mit den Herzen in Bethlehem, bei dem Heiland: etwas nehmen von dem Frieden und der Hoffnung, die hier spürbar ist. So etwas wie einen Boden unter die Füße bekommen. Bethlehem: so etwas wie die irdische Heimat der Menschen und ihrer Sehnsüchte.

Aber selbst schon die heilige Familie hat keine bleibende Stadt: Maria, Josef und das Kind müssen fliehen vor Herodes, weg aus Bethlehem, um zu überleben. Keine Heimat, kein Grund unter den Füßen, sondern Flucht und Entwurzelung.

 

II.

„Gehen Sie mal durch die Lennestraße!“ – Ja, ich weiß. Ich kenne den Satz, so gut wie wir alle.

Demographen zeichnen weiterhin ein düsteres Bild. Unsere Stadt schwindet. Haben wir keine bleibende Stadt?

Ich höre alte Erzählungen, wie die Stadt einst war. Vieles ist nicht geblieben, von der Industrie, von den Einkaufsmöglichkeiten, augenscheinlich auch nicht vom Leben vieler verschiedener Generationen.

Auch dieses Bild gehört in mein Nachdenken nach der Stadt, die nicht bleibt, auch wenn ich oft den pessimistischen Blick nicht teile. Wenn auch nicht alles bleibt – es entsteht auch Neues…

 

III.

Wir haben keine bleibende Stadt.

Der Volksmund bestätigt das in der Allerweltserfahrung: Nichts hat Bestand! Nichts bleibt! – Wenn es um das Abschiednehmen geht von Menschen, die plötzlich nicht mehr da sind, dann verbinden wir es mit dem Gedanken: Nichts hat Bestand. Wir merken häufig erst im Rückblick – vielleicht auch im Rückblick auf das abgelaufene Jahr 2012 – wie schnell die Zeit vergangen ist, die man nicht wiederholen kann, nicht nachholen kann.

 

IV.

Wir haben keine bleibende Stadt – das ist für den Verfasser des Hebr aber nur die halbe Wahrheit. Und er setzt im zweiten Atemzug dann mit Wucht etwas genau gegen diese Allerweltserfahrung, dass nichts Bestand hat:

 

Wir haben hier keine bleibende Stadt – sondern die zukünftige suchen wir!

 

Ein Signal gerade gegen alle Rückwärtsgewandtheit. Ein Signal zum Aufbruch. Ein Signal, dass wir Gottes Welt, sein angebrochenes Reich, auf uns zukommen lassen und Gottes Willen für unser Leben ergreifen. Es ist ein Signal, sich auf die Suche zu machen nach dem, was ewig trägt und ewig hält.

 

Geradezu positiv wird die Erfahrung der Endlichkeit gewendet: Es wird nicht alles bleiben, auch 2013 nicht. Vielleicht machen Menschen gar die Erfahrung: Nichts bleibt!

 

Denn in der noch nicht erlösten Welt gibt es die schrecklichen Erfahrungen des Verlustes: der Verlust von geliebten Menschen, die unser Leben ausmachen. Den Verlust der Arbeit als Existenzgrundlage. Der Verlust der Hoffnung, dass die Welt sich ändern lässt.

 

Suchen wir daher das, was ewig trägt und ewig hält!

In der Bibel ist es der Glaube an die bleibende Liebe Gottes, die alle Grenzen überwindet, selbst die des Todes und selbst die des Weltendes. Die Liebe bleibt. Sie macht uns nicht beziehungslos, nicht einsam – und wenn die ganze Welt zusammenbricht, wie wir es zum Übergang ins neue Kirchenjahr schon in einem Veranstaltungstitel benannt haben.

 

Im letzten Buch der Bibel ist diese bleibende Liebe Gottes in ein neues Stadtbild gemalt. Vielleicht sieht so die Stadt aus, die wir suchen können, auf die wir hin hoffen und leben können: Gott – so nahe wie eine Hütte bei den Menschen. Er wird bei uns wohnen, so sehr unsere Städte keine bleibenden Orte sind.

Und in die altbekannten Stadtmauern wird neues unvergängliches Leben eingezeichnet: Gott wird abwischen alle Tränen. Der Tod wird nicht mehr sein. Noch Geschrei. Noch Schmerz. Das Erste ist vergangen. Siehe ich mache alles neu.

 

Wir haben keine bleibende Stadt, aber eine zukünftige wartet! Nichts bleibt, aber Bestand hat eben die Liebe und Gegenwart Gottes und seine Fürsorge für uns! – Das ist für mich der Kern der christlichen Hoffnung über alle sichtbaren und erlebbaren Grenzen hinaus!

 

V.

Der Verfasser des Hebr schreibt diese Losung fast ganz am Ende seines Briefes. Zum Schluss kommen mit Wucht handfeste Ermahnungen.

Auch wenn sie teilweise fremd gelten – sie spiegeln aber eine gewisse Liebe zum Vorläufigen wider. Sie zeigen, dass die Stadt, die nicht bleibt, gestaltet werden kann, auch wenn wir uns nicht im Vorletzten verlieren müssen.

Bleibt in der brüderlichen Liebe!

Gastfrei zu sein, vergesst nicht, denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbert! Denkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene, und an die Misshandelten, weil ihr auch noch im Leibe lebt! Die Ehe soll in Ehren gehalten werden! Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben!

 

Wunderbare christliche Regeln für die Stadt, auch wenn sie keine bleibende ist! Regeln, die uns eben nicht stumm und ergeben die Zeit bis zur Ewigkeit absitzen lassen. Regeln und Einstellungen, die in uns Liebe zum Vorläufigen reizt.

 

Gestaltet „die Stadt“, die anvertraute Welt, geschwisterlich!

Kümmert Euch um Fremde – denn heute ist die Stadt, auch unsere Stadt, nicht isoliert vom Rest der Welt. Europa darf sich nicht abschotten, auch die krisengeschüttelten Ländern werden die Krise nicht überwinden, indem die alten nationalistischen Töne wieder hervorkommen!

Versetzt Euch in diejenigen, die Täter oder Opfer geworden sind – beide werden genannt, denn die Stadt, die keine bleibende ist, beherbergt Menschen, die schuldig geworden sind und an denen man schuldig geworden ist.

Denkt an Eure Lehrer im Glauben: Nicht, weil sie in der Vergangenheit das einmal Gültige formuliert haben, sondern hoffentlich, weil sie uns den Weg zum Zukünftigen gewiesen haben, wohin wir uns aufmachen. Wenn Wir Protestanten das Reformationsjubiläum feiern, die Katholiken ans II. Vaticanum erinnern – dann sollten wir prüfen, ob wir nicht nur Vergangenes bestaunen. Oder ob wir die Ideen und Einstellungen von früher fruchtbar machen können, um die zukünftige Stadt zu suchen.

 

VI.

Der Verfasser des Hebr schreibt handfeste Mahnungen – interessanterweise alles Mahnungen für die nicht bleibende Stadt. Das tut nur jemand, der das Vertrauen hat: Das zukünftige lohnt es zu suchen. Und die Verheißungen greifen dem Zukünftigen schon vor und kündigen es an. Hoffnungen entstehen – gegen alle Erfahrung, dass nichts Bestand hat.

 

Hoffnungssätze wie aus dem Hebr werden zur Bedingung, dass neue Erfahrungen überhaupt möglich sind. Dieser Hoffnungssatz will unsere Wirklichkeit, so wie sie da ist, nicht einfach erhellen, sondern die Wirklichkeit, die kommt, so hoffen lassen, dass die nicht bleibende Stadt sich verändert.

 

Mögen wir für unsere Stadt, für unsere Gegenwart, für das das Jahr 2013 „viel Leidenschaft für das Mögliche“ entfachen (Sören Kierkegaard). Und lasst uns gerade darin unsere Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass wir mitten in einer Welt, die nicht bleibt, schon die zukünftige suchen!