Das Uli-Hoeneß-Lied (Kantate 2013 zu Jes 12)

Am Sonntag Kantate – wie könnte es anders sein? – fange ich natürlich mit dem Zitieren eines Liedtextes an. Es steht nicht im Gesangbuch und hat den Refrain: „Oh – Freudentaumel zieht durchs Land/von Nürnberg bis zur Waterkant/alle singen Hand in Hand:/Bayern hat verloren./Und ganz besonders schön ist/das Gesicht von Uli Hoeneß.“

Predigt – Wiblingwerde, Jesaja 12

Kantate 28.4.2013

 

Fußballspiele wurden beim FC Bayern schon lange nicht mehr verloren, verloren hat allein ihr Manager Uli Hoeneß, und zwar seine Glaubwürdigkeit. Steuerhinterziehung in gigantischem Stil wird ihm vorgeworfen. Im rücksichtslosen Raubtierkapitalismus nichts Besonderes! Es gilt fast eher clever.

Aber wenn ausgerechnet die Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens überführt werden, die vorher kein Blatt vor den Mund genommen haben, ein Saubermann-Image pflegten und für sich beanspruchten, ein Leitbild für Moral und Anstand zu sein – dann ist das ein gefundenes Fressen.

 

Mich ärgert selber besonders, dass öfter zu hören ist: Aber seine Fähigkeiten als Vereinsboss sind unumstritten. Oder gar: Es kann doch nicht so arg sein, denn eigentlich ist Hoeneß doch sozial eingestellt. Vorsicht: In diesem Land kann man sich nicht freikaufen von der Steuerpflicht und mit sozialem Engagement quasi selbst entscheiden, was man Gutes tut …

 

Aber genauso ärgert es mich wieder einmal, mit welcher – oft verlogenen – Empörung über Hoeneß gerichtet wird. Noch bevor etwas juristisch geklärt ist. Und wie immer sofort die Grenze fällt (die das protestantische Menschenbild ausmacht!), zwischen Person und seinen Werken zu unterscheiden. Selbst ein Steuersünder bleibt Mensch – ein sündiger, ja, aber eben Mensch!

 

2.

Ich würde Hoeneß gerne in 10 Jahren fragen – und hoffte auf eine ehrliche Antwort: „ War es das wert? Ist das Leben, nachdem Gras über die Sache gewachsen ist, besser geworden oder schlechter?“

Wird das Leben besser oder schlechter nach dem großen Crash – wüsste man darauf immer die Antwort, wäre so manche Krise leichter durchzustehen. Aber selbst dann, wenn man diese Antwort wüsste, wäre eines nicht zu leugnen: Das Leben wird jetzt anders, und das kostet Kraft, Freunde und Hoffnung. Wenn jemand zu schnell mit der Antwort kommt und behauptet: „Alles wird gut“, dann wirkt das in vielen Fällen doch eher wie ein billiger Trost, eine Vertröstung. Da ist es meistens besser, man setzt sich mit dem Gescheiterten auf seinen Scherbenhaufen und genießt die Aussicht dort.

 

3.

Der Predigttext heute macht das nicht. Der blickt in eine rosige Zukunft, obwohl die Israeliten verschleppt in der Babylonischen Gefangenschaft sitzen. Die Prognose des Propheten findet sich im 12. Kapitel des Jesajabuches:

 

Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, Herr, dass du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest. Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der Herr ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen. Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem Herrn, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! Lobsinget dem Herrn, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen! Jauchze und rühme, du Tochter Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!

 

4.

„Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, Herr, dass du bist zornig gewesen über mich“.

Das würde ich, wenn ich am Boden zerstört bin, nicht hören wollen. Es geht mir so schlecht wie noch nie – und dann soll ich auch noch dankbar sein und lobsingen?! Es schnürt mir so die Kehle zu, dass ich nicht einmal ein Klagelied anstimmen könnte, erst recht kein Loblied.

„Zu der Zeit wirst du sagen …“: Anmaßend und unsensibel klingt das zunächst – woher willst du wissen, was ich sagen werde, wenn ich alles hinter mir habe?! Kann es nicht genauso gut sein, dass ich zu dem Urteil komme: „Von da an ging’s bergab“?!

Tröster kommen vorbei, ein paar gute, viele schlechte. Interessant ist auch, wer jetzt nicht mehr kommt. Und ich komme nicht mehr vor die Tür. Irgendwann kommt einer vorbei und fordert mich auf, folgenden Satz zu vervollständigen: „Zu der Zeit wirst du sagen …“ – wie geht der Satz weiter?

Ich verstehe zunächst nicht. Mein Besucher wiederholt die Frage: „Zu der Zeit wirst du sagen …“ – wie geht der Satz weiter? Ich unternehme einen letzten Versuch, die goldene Vergangenheit zu loben und die düstere Gegenwart zu beklagen. Mein Gegenüber bleibt hartnäckig: „Zu der Zeit wirst du sagen …“ – wie geht der Satz weiter? Ich lasse mich darauf ein: Ich verlasse die Gegenwart und denke mich in die Zukunft. Ich tue so, als wäre ich schon raus aus dem ganzen Dilemma und würde auf das, was jetzt geschieht, zurückblicken. Das kann ich gar nicht tun, ohne darüber nachzudenken, was eigentlich genau das Problem war, und wie die passende Lösung dazu aussieht.

 

5.

Diese Art, auf eine wenig wünschenswerte Gegenwart zu gucken, hat einen gewaltigen Vorteil: Es muss nichts schöngeredet werden. Es ist, wie es ist, nämlich schlimm, und auch im Nachhinein kann man nicht einfach sagen, es wäre alles halb so wild gewesen.

Wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis zu landen, ist sicherlich schlimm. Schlimmer ist aber noch, wenn sich die Gewissheit einstellen sollte: So bin ich doch gar nicht. Hier hat sich etwas verselbstständigt. Ich bin da in etwas hineingeraten, das außer Kontrolle geraten ist. Wohlgemerkt: Das macht die Schuld nicht unbedingt kleiner, aber es kommt noch etwas Neues dazu, ein weiteres Problem, das leicht zu übersehen ist. Man muss nicht Manager sein und Steuermillionen hinterziehen, damit einem das bekannt vorkommen könnte. Es muss auch nicht mit Gefängnis enden. Wer einmal in einen Teufelskreis geraten ist, weiß, wie schnell sich so ein Ding drehen kann. Und was für ein Glücksfall es ist, wenn jemand eingreift und mich da hinauszieht.

 

6.

Dann kann es durchaus auch Sinn machen zu sagen: „Danke für den Zorn!“ Vielleicht habe ich genau diesen Zorn gebraucht, um zu merken, wie Ernst die Lage ist. Was auf dem Spiel steht. Wie weit ich mich von mir selbst und dem, was mir wichtig und heilig ist, entfernt habe. Wenn es um Geld geht, passiert das schnell. Und schon Jesus hat gefragt: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt – oder auch nur die Champions League – gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (frei nach Matthäus 16,26).

Wenn jemand auf mich zornig ist, und zwar nicht irgendwer, sondern jemand, der mir sehr wichtig ist und dem ich ebenso wichtig bin: Dann können die Alarmglocken gar nicht laut genug schrillen. Ich muss mich dann schnell entscheiden: Ist da was dran an dem Vorwurf, der mich so wütend und enttäuscht gemacht hat? Bin ich auf dem Holzweg oder renne sogar in mein Verderben? Bleibe ich unter meinen Möglichkeiten?

 

Die Israeliten in Babylon haben sich sehr zu Herzen genommen, was sie als den Zorn Gottes gedeutet haben. Sie wusste, dass der unendliche Zorn nur die Kehrseite von unendlicher Liebe ist (das Gegenteil wäre nämlich Gleichgültigkeit!). Daher sind sie sicher: Eines nicht fernen Tages werden wir ein Loblied anstimmen. Fangen wir schon einmal an zu singen! Amen.