Die letzten Dinge regeln (Karfreitag zu Lk 23,23-49

Am Ende, ganz am Ende, ist im ihrem Leben noch etwas offen geblieben, das geregelt werden muss: – auch gegen das Zureden ihrer Kinder, die nicht so offen über den Tod reden wollte: Sie hat sich hingesetzt und Lieder für ihre eigene Beerdigung ausgesucht.

Predigt Lutherkirche Altena

Karfreitag #Lk 23,23-49

Sie hat ihre Fotobücher geordnet, einen schlichten Lebenslauf aufgeschrieben.

 

Liebe Gemeinde,

 

das ist nicht ungewöhnlich: Gerade Ältere sehe ich oft bewundernswert nüchtern mit ihrer eigenen Endlichkeit umgehen. Sie entwickeln eine Gelassenheit zum Weitermachen, auch im Unterschied zur Unrast von uns Jüngeren, die doch oft so tun, als ginge es jeden Tag ums Ganze.

 

Oder ist das nur Fassade? In unseren Gemeindekreisen machen wir Nachmittage über die Patientenverfügung. Das hat ja mit dem Älterwerden und Sterben zu tun. Aber das eigentliche Thema dahinter, das Sterben – damit bleibt jeder oft alleine für sich.

 

Es klingt paradox: Tod und Sterben sind öffentlich und allgegenwärtig – so öffentlich, dass wir oft die Bilder unserer Nachrichtensendungen wegzappen. In Wirklichkeit schleichen wir oft um das Thema herum.

 

Bei dieser Frau, die mir vor Augen ist, ist es besonders heikel geworden, weil sie auch noch einen Streit zu klären hatte. Eine unklare, nicht bereinigte Beziehung. Mit dem Blick auf den Tod ging es nochmals ums ganze Leben: um Schuld, um Verantwortungen, um die Bitte nach Vergebung. Um Loslassen können. Um Umkehr ganz am Ende.

 

II.

Der Evangelist Lukas setzt – im Gegensatz zu bei Matthäus und Markus – das Thema „Tod und Sterben“ ganz besonders intensiv ins Gespräch. Ins Gespräch – sagen wir mal so : – „der Betroffenen“. Bei Lukas entwickelt sich ein Dialog zwischen Jesus und den beiden Verbrechern zur Rechten und zur Linken, die mit ihm gekreuzigt werden. Es gilt noch etwas zu klären. Schonungslos offen und radikal menschlich. Mitten in der Öffentlichkeit der Schädelstätte Golgatha. Vier Besonderheiten fügt Lukas ein:

 

  1. die Fürbitte Jesu

Jesus eröffnet das Gespräch über Tod, Sterben und Lebensbilanz mit einem Gebet an Gott, in dem er Fürsprache hält für seine Peiniger: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

 

Er ruft Gott-Vater an um Vergebung für das, was man ihm angetan hat und antut. Ohne jegliche Vorbedingung. Nicht: „Wenn ihr jetzt bereut, wenn ihr unter dem Kreuz wenigstens seht, was ihr angerichtet habt, dann will ich bei Gott noch ein Wort für Euch einlegen.“ Nein: Jesus wendet sich ohne jegliche Vorbedingung an Gott: „Vater vergib“ – das Wort aus der Versöhnungsitanei von Coventry. Er wird zum Fürsprecher der Sünder, selbst noch im eigenen Tod.

 

Das hält die Menge nicht davon ab, das Los über seine Kleider zu werfen, ihn zu verspotten und Jesus ein Schild übers Kreuz zu hängen: „König der Juden“.

 

[2. Der eine Übeltäter lässt sich anstacheln]

Nur Lukas berichtet, dass der eine Übeltäter in diesen Chor einstimmt: „Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!“

Und nun sind wir inmitten eines kurzen, aber ein eindrücklichen Dialogs. Von der anderen Seite – der andere Übeltäter. Ich höre Empörung in seiner Stimme: Wir hängen hier mit Recht, wir empfangen, was wir verdienen – er aber hat nichts Unrechtes getan. Wie kannst Du um Hilfe betteln, jetzt, wo du dir selbst nicht mehr helfen kannst? Wo du verantwortlich bist für deine Schuld? – Hier gibt es keinen Rettungsschirm!

 

Der zweite Übeltäter wendet sich Jesus zu – mit einer ganz anderen Bitte: „Denke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“

 

Denke an mich! – Kein: „Nimm mich mit – in dein Reich!“ Sondern ein: „Vergiss mich nicht in meiner Schuld. Vergiss mich nicht trotz meiner Schuld!“ Lass mir einen Rest meiner Würde, indem Du meine Tat unterscheidest von meiner Person. Nicht, dass ich die Rettung verdient hätte, aber vergiss mich nicht in allem, was passiert! – Der zweite Übeltäter greift nach dem Angebot Jesu, Fürbitte für ihn zu halten vorm Vater!

 

  1. Jesu Einladung ins Paradies

„Heute wirst Du mit mir im Paradies sein.“ Auch diesen Satz finden wir nur bei Lukas. Es ist genauso verstörender wie heilsamer Satz. Der Übeltäter wird sterben, wie der erste Übeltäter auch, wie Jesus sterben wird. Und gleichzeitig eröffnet Jesus ihm vollmächtig eine Tür zum Himmel, einen Weg zurück ins Paradies.

 

„Heut schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis“ – das ist nicht nur ein weihnachtlicher Vers, sondern es ist der kleine Osterschein mitten auf Golgatha: Unter dem Kreuz tut sich die Schöpfung auf in ihrem Urzustand, wie am Anfang der Bibel im Garten Eden, wo noch nicht die Sünde zwischen Gott und Mensch steht. Diesen Urzustand verspricht Jesus dem zweiten Übeltäter: Unter dem Kreuz wird Vergebung versprochen, findet Versöhnung zwischen Gott und Mensch statt.

 

Es ist diese ur-menschliche Sehnsucht, vielleicht auch im Tod: dass sich das Leben wiederherstellt. Dass es ein „Zurück“ zum „Davor“ gibt: zurück in die Zeit vor dem Erdbeben und Atomunfall, eine Zurück vor eine folgenschwere Diagnose, die Wiederherstellung einer Beziehung, so wie vor dem Streit.

 

Jesus verspricht diesen Wendepunkt mitten im Tiefpunkt.

 

Er verspricht sie dem, der auf seine Fürbitte hin den schlichten, fast beschämenden Satz ausstößt: Denk an mich! Vergiss mich nicht. Jesus vergisst ihn nicht: Er begleitet den Reumütigen zum Richterstuhl und bringt das „Vater vergib“ vor.

 

[4. Fürwahr, dieses ist ein „gerechter“ Mann gewesen!]

Der Hauptmann sagt bei Lukas nicht, dass das der „Sohn Gottes“ war, sondern ein „frommer“/“gerechter Mann.

 

Bei Lukas ist Jesus ein Gerechter, in ein leidender Gerechter.

Er hängt dort, unschuldig im Vergleich zu den beiden Anderen. Er teilt die Erfahrung mit ihnen, er der Leidende.

 

Gleichzeitig hält er seine Haltung durch, als Fürsprecher vor Gott, als derjenige, der die Menschen rechtfertigt vor Gott. Er tut es nicht für den Übeltäter, der Rettung fordert, geradezu beansprucht, der seine Verzweiflung über die Konsequenzen seiner Tat gar in zynischen Spott kleidet („dann hilf doch dir und mir …“). Jesus hält den Unterschied zwischen Recht und Unrecht aufrecht und verwischt ich nicht: So billig ist die Gnade ist!

 

Jesus, der leidende Gerechte, tut es für den, der am Ende offen wird für das „Vater vergib!“

 

Hier liegt das Geheimnis des Todes Jesu: Er leidet zu Unrecht. Aber nur dadurch ermöglicht er dem Reumütigen noch ganz am Schluss die Umkehr. Das ist teure Gnade. Die Jesus mit dem Leben bezahlt. Für diesen einen da, den Übeltäter, für uns und unsere Schuldzusammenhänge.

 

Umkehr ist immer noch möglich. „Vater vergib“ – dieser Ruf trifft auch uns, wenn wir aussichtslos auf unser Leben schauen.

 

Vater vergib – steht in die Kathedrale von Coventry, die Deutsche im Zweiten Weltkrieg zerstörten. Der dortige Domprobst Richard Howard ließ die Worte dort einmeißeln. Als die Dresdener Frauenkirche wieder aufgebaut wurde – aus dem Trümmern des Krieges! -, fand ein Nagelkreuz aus Coventry seinen Platz auch dort. Mit Spenden aus England, aus aller Welt, wurde diese Kirche als Zeichen der Versöhnung wiedererrichtet. –

 

Heut – nicht erst im Dezember – schleußt dieser sterbende Jesus wieder auf die Tür zum schönen Paradeis.

Nun gehören unsre Herzen

ganz dem Mann von Golgatha,

der in bittern Todesschmerzen

das Geheimnis Gottes sah,

das Geheimnis des Gerichtes

über aller Menschen Schuld,

das Geheimnis neuen Lichtes

aus des Vaters ewger Huld.