Ein Jahr mit der Jahreslosung (Altjahresabend 2009 zu Röm 8,31-39

Bei Neujahrsgottesdienst habe ich die neue Jahreslosung 2009 verteilt: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“ (Lk 18,27). Sie halten „Restbestände“ in Händen.

Predigt Altjahresabend 2009 – Luther-Kirche Altena

#Röm 8,31b-39

 

Ein Jahr mit (oder ohne) diese Jahreslosung ist nun schon wieder rum. Wo ist die Zeit geblieben? Wir merken, wie unverfügbar die Zeit ist (Lied: „Schenk uns Zeit von deiner Ewigkeit.“).

 

Der Weihnachtskreis im Kirchenjahr wird heute durchbrochen vom weltlichen Jahreswechsel. Wir werden womöglich die letzten Sekunden runterzählen und mit unseren jeweiligen Empfindungen das alte Jahr abschließen. Es zurück- und hinter uns lassen. Wenn man Sekunden runter zählt oder einfach ins Bett geht und sich dann am morgen sich an jungfräuliches Datum zu gewöhnen beginnt – dann kann man hoffentlich auch seinen Frieden mit einem Kalenderjahr machen. Es ist vorbei – Chance für einen Neubeginn!

 

Gleichzeitig bleibt die bohrende Frage nach einer Bilanz. Wir feiern heute Abendmahl, das Fest der Versöhnung: mit uns selbst, mit dem Anderen, mit Gott. Erst dann, so glaube ich, können wir wirklichen Frieden machen mit allem, was uns persönlich begegnete und was auf uns im gesellschaftlichen Leben einprasselte.

 

Bei den vielen Jahresrückblicken steht uns – ganz nach der Jahreslosung 2009 – zunächst vor Augen, was dem Menschen nicht möglich war. Nur zwei Beispiele, die nachtragen: Nicht möglich war dem Menschen eine Einigung bei der Klimakonferenz und sich neue Regeln für das globalen Wirtschaftssystem zu schaffen. Hier haben sich Menschen vor allem an den zukünftigen Generationen schuldig gemacht.

 

Unsicherheit und Zukunftsangst prägen viele Menschen. Auf Gott zu vertrauen, scheint dem Menschen nicht möglich zu sein. Wie oft habe ich mich in diesem Jahr in mich selbst gefangen gefühlt. Wie oft habe ich gemerkt, dass ich mich vorrangig selbst im Blick habe.

 

Paulus nennt dieses Lebensgefühl, das um sich selbst kreist, ein „Leben nach dem Fleisch“. Ein Leben nach dem Fleisch sucht nach eigener Erlösung und Rettung, führt aber in den Tod.

 

 

  1. Leben im Geist – Röm 8

 

Im Römerbrief stellt Paulus das „Leben im Geist“ dagegen. Alles was mein Leben ist und bewirkt, steht außerhalb meiner selbst. Das Leben im Geist ist davon geprägt, dass in uns Christus selber wirkt.

Heilend und rettend ist nicht unserer Blick auf uns selbst, sondern der fremde Blick Gottes auf uns. Wir sind gerettet – aber auf Hoffnung, heißt es im Vorspann unseres Predigtextes aus Römer 8, den wir gerade als Glaubensbekenntnis gesprochen haben.

 

Dieser Text ist für mich einer der wunderbarsten Bibeltexte, weil er etwas von Gnade versteht. Vom fremden Blick auf uns. Er handelt vorab vom Seufzen der ganzen Schöpfung und mündet trotzig ein in ein Bekenntnis der rettenden Liebe Gottes.

 

Dieser Text Römer Acht hat sich mir eingebrannt. Ein ehemaliger Oberkirchenrat, der für uns Theologiestudierende zuständig war, sagte einmal über die Schwierigkeiten im Studium und Leben: „Und wenn gar nichts mehr hilft: Lesen Sie Römer Acht!“

 

Das war nicht gemeint wie Medizin, nicht verschrieben wie ein Breitband-Antibiotikum. Sondern daraus klang das tiefe Vertrauen, dass wir uns Gott an den Hals werfen können. Dass Gottes Liebe alle Widrigkeiten des Lebens aushalten lässt – ja weit mehr noch: alle Widrigkeiten überwindet.

 

Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?-

Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch [a] Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,

39 weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

 

Das Seufzen der Schöpfung, das wir in unserer Zeit gut nachempfinden können – und direkt darauf dieses Bekenntnis: Für einen Moment hört bei Paulus das Argumentieren auf. Da stehen wir – um es weihnachtlich zu sagen! – an der Krippe, können das Kind aber nicht fassen, sondern nur die Botschaft wahrsein lassen. Es ist das Geheimnis dieses Textes, dass er ein radikaler Text ist, aber ganz ohne Appell auskommt. Nur reiner Zuspruch ist.

 

Der Zuspruch lautet: Gott schaut uns an. Dafür kam er in die Welt, wie Paulus erinnert. Mit allen Konsequenzen hat Gott in seiner Menschwerdung seinen Heilswillen verwirklicht. Er hat selbst den Tod Jesu in Kauf genommen. Uns zum Recht und zur Rettung hat er ihn erweckt.

 

In Römer 8 verdichtet sich die Botschaft des ganzen Römerbriefes: Ich bin von Gott angesehen. Wir sind Gottes Kind genannt – aber nicht durch eigene Errungenschaften, sondern weil Gott mich sein Kind nennt. Selbst unsere Gebete müssen uns nicht selber gelingen: „Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen. Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“. (Röm 8,26)

 

 

III. [„Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich.“ ]

 

Angst und Unsicherheit kennzeichnen unsere Zeit. Angst lässt sich nicht wegdiskutieren. Und Unsicherheit lässt sich nicht einfach „weg-glauben“. Aber Paulus geht es auch nicht um Sicherheit, sondern um Gewissheit: Ich bin gewiss, dass uns nichts scheiden kann von der Liebe Gottes.

 

Nicht das Wissen, das Logische und Rationale behält die Oberhand, sondern das Emotionale, das Grundvertrauen: Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes. Dieses Vertrauen ist die Basis fürs Argumentieren und Streiten, für mehr Sicherheit in unserem Leben, für mehr Orientierung und das Scheiden der Geister, dem wir auch im neuen Jahr weiter verpflichtet sein werden. Dazu hat der Hamburger Theologie Fulbert Steffensky mal gesagt:

 

Der Glaube an die Rettung des Lebens im fremden Blick der Güte hat eine fast anarchistische Kehrseite: Er zweifelt alle Mächte, Einrichtungen, Personen und Lehren an, die sich als substantiell notwendig ausgeben oder aufspielen. Dieser Glaube an die Geborgenheit des Lebens führt zu einem fröhlichen Unglauben gegen alles, was sich unumstößlich gibt. Der Glaube an die Gnade Gottes hat eine zersetzende Kraft. Er zersetzt zuerst alle Kräfte und Geister, die diese Güte ersetzen oder ergänzen wollen.“

 

„Lesen Sie Römer Acht“, habe ich in Ohren. Oder nehmen wir die neue Jahreslosung mit auf den Weg. „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich.“ Auch hier klingt es durch: Vertraut auf die Rettung des Lebens im fremden Blick der Liebe Gottes!

 

„Römer Acht“ weiß sich – wie kaum ein anderer Bibeltext – der Liebe Gottes zu vergewissern, was auch immer kommen mag. Wir brauchen diesen fremden Blick Gottes auf uns, um nicht verloren zu gehen im neuen Jahr, sondern gewiss zu werden, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39 weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

 

Amen.

 

 

 

 

 

 

 

Das lässt uns hoffen und Kraft schöpfen für das neue Jahr.

 

Der WDR berichtete im Jahreslauf über traurig stimmende Schicksalsschläge von Menschen: Ein behindertes Kind, in der Grundschule integriert, sollte nicht – wie ihre Freundinnen – auf die Regelhauptschule sondern in die Förderschule gehen. Zwei Triathleten aus Siegen überlebten nur knapp einen Unfall, als sie beim Radfahren von einem Auto erfasst wurden. Ein Hartz-IV-Bezieher fand trotz vielfältiger Versuche nicht zu einer neuen Berufs- und Lebensperspektive.

 

Zum Jahresende hat der WDR diese Personen nochmals aufgesucht und Hoffnungsbilder gedreht, weil sich – Gott sei Dank – die Lebenslage dieser Menschen so wundersam verändert hat:

Das behinderte Mädchen ist dank des Einsatzes ihrer Eltern doch auf die Hauptschule gekommen – und dort aufgeblüht.

Die Triathleten haben nach mehreren Operationen das Krankenhaus verlassen – und (wie in einem neuen Leben) radeln und schwimmen wieder.

Der Hartz-IV-Bezieher hat Gesangstalent und hat als Sänger gerade seine erste viel versprechende CD herausgebracht…

 

Unabhängig davon, ob diese Menschen ihr Schicksal von Gott gewendet sehen: Für uns können das die alltäglichen Beispiele von Hoffnung und Kraft sein, die wir nicht nur aus uns selbst heraus entwickeln können. Für Paulus ist das Gewinnen einer solchen Gewissheit – selbst in Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße und Krieg hinein – Ausdruck der Liebe Gottes. Des fremden Blickes auf uns, der uns Kraft geben kann.