Ein Weihnachtsgruß (Heiligabend 2009 zu Röm 1,1-7)

„Ich wünsche Euch frohe Weihnachten und ein gesegnetes Jahr 2010!“ – So habe ich es doch recht häufig unter meine Weihnachtspost geschrieben, und ich habe es genauso als guten Wunsch für mich gelesen: auf Karten, in E-Mails, in der einen oder anderen online-Grußkarte.

Predigt – Heiligabend Luther-Kirche

Christmette #Röm 1,1-7

 

Es gibt wohl keinen anderen Anlass im Jahr als Weihnachten, wo wir nicht so häufig noch zum Füller greifen, Pakete packen und mit kommerziellen „Weihnachtsbotschaften“ in den Medien, aber auch im eigenen Briefkasten, überhäuft werden. Weihnachtszeit ist Briefe-Zeit.

 

Sie halten heute den kirchlichen Weihnachtsgruß in den Händen [Gottesdienstprogramm als Briefumschlag gestaltet]. Streng genommen: Den Briefumschlag dieses Weihnachtsgrußes. Denn der Predigttext für die Christmette ist der Anfang vom Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom.

 

Paulus, ein Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, [a] ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes,

2 das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der heiligen Schrift, [a] 3 von seinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn, der geboren ist [a] aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch, 4 und nach dem Geist, der heiligt, [a] eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten. 5 Durch ihn haben wir empfangen Gnade und Apostelamt, in seinem Namen den [a] Gehorsam des Glaubens aufzurichten [b] unter allen Heiden,

6 zu denen auch ihr gehört, die ihr berufen seid von Jesus Christus. 7 An alle Geliebten Gottes und [a] berufenen Heiligen in Rom: [b] Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

 

 

Dieser Briefanfang ist weit mehr als die Nennung eines Absenders und eines Adressaten. Das merkt man schon am üblichen Gruß des Apostels, der sich bis heute als ein üblicher Kanzelgruß erhalten hat (Gnade sei mit euch und Friede…).

 

Dieser Briefanfang beschreibt nicht direkt den Zauber der Heiligen Nacht. Der Römerbrief ist kein „Weihnachtsgruß“ im heutigen Sinne. Er erzählt nicht – wie das Lukasevangelium – die Geburtsgeschichte.

 

Aber: Dieser Briefanfang, so formelhaft und konzentriert er ist, schmückt die Nennung des Adressanten und des Absenders so aus, dass schon quasi mit dem Briefumschlag gesagt ist, worin Paulus seine Aufgabe sieht und was seine Botschaft ist.

 

II.

Nehmen wir diesen Brief quasi in die Hand und schauen uns zuerst den Absender an:

Paulus, ein Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes, von seinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch, eingesetzt als Sohn Gottes durch die Auferstehung von den Toten.

 

Alles was Paulus ist, was er seinen Verkündigungsauftrag nennt, ja, was er Kirche und Gemeinschaft der Getauften nennen kann, hat einen Grund: die Berufung auf Jesus Christus – und sogar die Berufung durch Jesus Christus selbst.

Ohne Jesus Christus kein Apostelamt, und heute kein Predigtamt, kein Diakonenamt, kein Kantoren- oder Küsteramt! Ohne Bethlehems Stall keine Kirche!

Und noch mehr: Ohne die Geburt des Heilandes kein Evangelium (und gemeint sind hier nicht die vier Evangelienbücher im Neuen Testament sondern der Wortsinn von „Evangelium“): Wäre Gott nicht Mensch geworden – es gäbe kein Evangelium, keine gute Botschaft im Sinne einer Rettung für die Welt.

 

Hier schimmert Weihnachten durch. Denn Paulus bezieht sich auf den geborenen, den Fleisch gewordenen Heiland: Christus – „geboren aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch.“ Gott wird Mensch in konkreter Gestalt, am konkreten Orte: als Jude und Nachfahre Davids in Bethlehem. Und „nach dem Fleisch“, das heißt: mit menschlichem Körper. Mit Haut und Haaren.

 

Die Menschwerdung Gottes – hier ist sie verpackt im Absender eines Briefes: Bei Paulus entstehen mir nicht die Bilder vom kleinen Jesuskind, dem göttlichen und unschuldigen Babys. Dieses Jesusbild dominiert ja oft die Weihnachtspredigten, weil ein neugeborenes Kind ja in besondere Weise unsere Sehnsucht nach Geborgenheit und urtümlicher Freude wachruft. Aber genauso kann das kleine Jesuskind auch zum Kitsch und zu einer Rührseligkeit führen, die mit dem erwachsenen Jesus nichts zu tun hat, mit seinem Widerstandsgeist, mit seinen Auseinandersetzungen, seiner Gradlinigkeit und Unbeirrtheit.

 

Paulus nennt Geburt und Auferstehung. Der isolierte Blick auf das Kind am Lebensbeginn – und übrigens auch der isolierte Blick auf das Kreuz am Ende – diese Blicke vergessen oft, was das Leben Jesu dazwischen ausgemacht hat. Und gerade diesen erwachsenen Jesus brauche ich, wenn das Weihnachtsfest wieder vorbei ist.

– Ich brauche den Jesus, der in der Bergpredigt von der Feindesliebe redet und sie als Option offen hält. Ich kann nicht mit ansehen, wie unsere Jugendliche schon in der Schule in eine Spirale der Gewalt hineingezogen werden. Es gibt oft keine andere Lösung, als zurückzuschlagen.

– Ich brauche den Jesus, der die Ausgegrenzten seiner Zeit zurück in die Gemeinschaft geholt hat: durch die Heilung einer ausgrenzenden Krankheit oder durch Vergebung der Schuld. Ich merke zunehmend, dass Solidarität untereinander alles andere als selbstverständlich ist. In der „Zeit“ war neulich über ein neues Wohlstandsmilieu zu lesen, bestehend aus Feuilleton-Journalisten, Jung-Bankern, Menschen aus Architektur- und Werbebüros. In diesem Milieu wird dem Zusammenhalt in unserer Gesellschaft immer öfter sogar Verachtung entgegengebracht. Der Sozial- und Steuerstaat, so heißt es dann in Anlehnung an den Philosophen Peter Sloterdijk, wird zu einem geldsaugendes Ungeheuer: Die Unproduktiven leben auf Kosten der Produktiven, heißt es.

Droht bald ein Klassenkampf, diesmal von oben nach unten?

Auf der Strecke bleibt oft die Gerechtigkeitsdebatte. Appelle zur Wohltätigkeit und Barmherzigkeit gibt es viele. Das ist schick, löst aber kaum Probleme und schafft keinen neuen Zusammenhalt. Die Suppenküchen und Sozialläden sind ein Beispiel dafür: Einst gegründet, um den Lebensbedarf über das hinaus zu ergänzen, was die soziale Sicherung leistete, sorgen diese Einrichtungen inzwischen immer mehr für das Notwendigste!

– Ich brauche auch den Jesus, der Menschen ermutigt, über ihren eigenen Schatten zu springen wie den Zöllner Zachäus. Das braucht der Konfirmand, der neulich zerknirscht sagte: „Ich will mich ändern, aber ich kann es einfach nicht!“ Das braucht auch die Welt im Großen – nach Kopenhagen!

Es gäbe sicher noch andere Bespiele dafür, dass Leben Jesu zwischen Geburt und Auferweckung in den Blick zu nehmen, auch wenn es an vielen Stellen unsere Ruhe stört. Wenn es uns nötigt, uns persönlich an Christus zu binden.

 

III.

Liebe Gemeinde! Der Adressat ist die Gemeinde in Rom. Aber so wie Paulus die Gemeinde anspricht, so können wir in Altena an Heiligabend 2009 auch uns angeredet fühlen:

An alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom in Altena

 

Paulus meint die normalen Gemeindeglieder. „Geliebte“, „Heilige“ nennt er sie. Er will ihnen sicher nicht schmeicheln. Sondern die Anrede konsequent aus der Berufung und dem Auftrag des Apostels entwickelt, die gute Botschaft weiterzusagen.

Die gute Botschaft ist nicht nie abstrakt, sondern entspringt der Weihnachtsbotschaft, dass Gott Mensch wird, uns zu Liebe und uns zu Gute. Daher spricht Paulus uns an und sagt: Ihr Geliebten Gottes!

Und alle sind gemeint: Im Adressfeld unseres Weihnachtsbriefes stehen die, die Zweifel haben in ihrem Leben. Die nicht mehr ein und aus wissen. Nicht nur die Sicheren und den Klugen. Und den Fröhlichen.

Nein, allen ist gesagt: Ihr seid die Auserwählten. Ihr seid die von Gott endlos Geliebten. Ihr seid es, denen Gnade und Friede gilt von Gott, unserem Vater und dem Herr Jesus Christus.

 

Gnade und Friede für Euch – für „euch“ im Plural, nicht zu aller erst für jeden einzeln, in unseren privaten Sphären, sondern als Brüder und Schwestern. In einer Gemeinschaft. Vielleicht auch in sichtbaren Gemeinschaften einer Kirchengemeinde und einer Gottesdienstgemeinde.

Und wird zugetraut und zugemutet, weiterzusagen, was uns an dieser Heiligen Nacht berührt und fasziniert. Und dass wir uns einander erinnern: Wisst ihr noch, wie es geschehen, wie wir einst den Stern gesehen?

 

Paulus nimmt uns mit in seine Berufung hinein, davon zu sprechen, wo wir uns im positiven Sinne beunruhigen lassen vom erwachsenen Jesus und uns in Bewegung setzen lassen. Wo wir aber genauso unseren Frieden und unsere Gewissheit finden, mit Blick auf die beiden Brennpunkte: auf Krippe und Kreuz.

 

Gnade und Frieden ist uns zugesagt. Das ist der Gruß für Weihnachten und darüber hinaus. Vielleicht sagen wir „Frohe Weihnachten“ ja mal so vollmundig wie Paulus, wenn wir das nächste Mal zum Füller greifen und einen Brief schreiben. Amen.