Wo Gott ist – Erinnerung an Elie Wiesel

Am Samstagabend ist Elie Wiesel gestorben, der 1926 in Siebenbürgen 1926 geborene Jude, der seinen Glauben verlor: mit 14 Jahren. in Auschwitz. 1944 bis zur Befreiung 1945.

Impuls Leitungskreis DWKKRE 8.7.2016

Er wurde von Mutter und Schwestern getrennt. Er musste mit ansehen, wie sein Vater starb: „Nie werde ich diese Nacht vergessen“ schreibt er 1958 in seinem Meisterwerk „Nacht“, der literarischen Grundlage für Literaturnobelpreis 1986.

„Nie werde ich die Nacht vergessen, die meinen Glauben für immer verzehrten. Nie werde ich das vergessen, und wenn ich verurteilt wäre, solange wie Gott zu leben.“

 

Ein Gottesbild, das die christliche, ja auch die jüdische Theologie verstört und erneuert hat: Eine Theologie ohne Gott? Eine Gott-ist-tot-Theologie in radikaler Abkehr von allen bisherigen Gottesvorstellungen an einen gerechten und allmächtigen Gott.

 

In der Erinnerung an Auschwitz beschrieb er mal folgende Szene:

 

Als ein Häftling einen erhängten Jungen sah, rief dieser: »Wo ist Gott?« und antwortet selbst: »Dort, dort hängt er, am Galgen.«

 

Diese Beschreibung wurde prägend für die „Theologie nach Auschwitz“, die Gott in den Opfern suchte, im Unrecht und Leid. Dorothee Sölle wurde eine der prominentesten Vertreterinnen. Nach Auschwitz könne man nur noch ganz anders von Gott reden: vom gekreuzigten Gott auf Golgatha, der nicht allmächtig im Sinne einer Allmacht eines Weltenherrschers die Welt lenkt, sondern – wenn überhaupt – als verletzbar und in J.C. buchstäblich verwundbar sich auf diese Welt eingelassen hat.

 

Beginn des Romans „Gezeiten des Schweigens“, Freiburg 1992, S.11:

 

„Sprichst du gerne von Gott?“

„Du weißt doch, dass ich’s gerne tue.“

„Dann los, Pedro, los. Sprich mit mir von Gott.“

„Gott, kleiner Bruder, ist die Schwäche der Starken und die Stärke der Schwachen.“

„Und vom Menschen, Pedro? Sprichst du auch gerne vom Menschen?“

„Du weißt doch, dass ich’s gerne tue.“

„Also, sprich mir vom Menschen.“

„Der Mensch ist die Stärke Gottes. Und auch seine Schwäche.“

(Eli Wiesel, Gezeiten des Schweigens, Freiburg 1992, S.11)

 

Keine Karfreitagspredigt von mir, in der nicht dieses Gottesbild mitschwang – auch in der Zumutung, dass es bei einem solchen Blick auf Gott bis Ostern immer noch sehr weit ist …

 

II.

Elie Wiesel hat die Kraft gefunden, nicht nur zu überleben, sondern aus seinem Überleben eine Verpflichtung abzuleiten für sein gesamtes weiteres Leben: zu erinnern und zu mahnen. Dabei orientierte er sich – trotz seiner Erlebnisse – am Glauben an den Menschen, und darin dann doch wieder auch an Gott:

 

Wenn ihr nicht wisst, ob euer Tun richtig ist, dann fragt euch, ob ihr dadurch den Menschen näherkommt. Ist das nicht der Fall, dann wechselt schleunigst die Richtung; denn was euch den Menschen nicht näher bringt, entfernt euch von Gott.

 

Er schlug versöhnende Töne an. Vor dem Deutschen Bundestag sagte er 2000:

„Niemals habe ich an die Kollektivschuld geglaubt. Die Kinder der Mörder sind keine Mörder, sondern Kinder.“

 

Er hatte einen klaren Blick, wo in der Gegenwart das Humanum bedroht war: Er wandte sich gegen die Apartheid in Südafrika, die Unterdrückung der Indigene in Südamerika, er geißelte aus Amerikaner den Irakkrieg Georg Bushs. Er war kein radikaler Pazifist und unterstütze etwa den Kosovokrieg der Nato oder verteidigte das Existenzrechts Israels.

 

Er starb nun im Alter von 87 Jahren. Mir war nicht bewusst, wie sehr unser theologisches Denken von ihm mitgeprägt ist, wie sehr seine radikalen Anfragen an Unrechtsstrukturen und an Schuld und Sühne unsere westliche Gesellschaft geprägt haben. Ich habe aber auch entdeckt, wie – bei allem Kummer und ewiger Erinnerung an das Erlebte – der Lebenswille nicht versicht ist, so fern ich darüber urteilen kann und darf. Autobiographisch wirkt ein weiteres Zitat aus einem seiner Bücher:

 

Man kannte, man liebte Rabbi David Leikes für seine überschwängliche, mitreißende Freude: er war ein glücklicher Mensch. Beim Beten geriet er in Begeisterung; selbst aus den Klagen machte er Lobgesänge. Er überlebte seine vier Söhne und seine Frau. Mit dreiundsiebzig Jahren, trauernd, vereinsamt, verfiel er dennoch nicht in Verzweiflung. Um Gott zu loben, muss man leben, sagte er; und um zu leben, muss man das Leben lieben, trotz allem …