Den Fußball in die Wüste schicken?

Am Wochenende beginnt in Katar die Fußball-WM. Die WM boykottieren? Oder hoffen, dass der Blick der Weltöffentlichkeit das Leben im kleinen arabischen Land zum Besseren verändert? Und was hat die Diakonie überhaupt damit zu tun?

Beitrag für die Diakonie-Mitarbeitenden-App

Persönlich weiß ich jetzt schon eins: Diese WM wird keinen Spaß machen! Bisher waren große Fußballturniere Familienereignisse. Oder der Anlass, Freunde zu treffen. Spiele haben sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Nun eine WM parallel zur Adventszeit? Gelinde gesagt merkwürdig.

Mir wird der Fußball keinen Spaß machen, weil wir die – seit der Vergabe 2010 diskutierten – Themen nicht ausblenden können. Hier kommt für mich ins Spiel, wofür wir als Diakonie eben nicht nur als regionales Werk im Kreis Recklinghausen sondern als weltweite Entwicklungs- und Hilfsorganisation stehen:

Die WM ist hinsichtlich der Nachhaltigkeit ein Desaster. Komplett neue Stadien wurden in die Wüste gebaut, die zu den Spielen klimatisiert werden. Fans werden täglich aus Nachbarländern eingeflogen.

Arbeitnehmer*innenrechte wurden mit Füßen getreten. Bis zu 15.000 Arbeiter*innen starben beim Stadien-Bau. Eine vielfache Zahl von ihnen geriet in sklavenähnliche Abhängigkeiten.

Der katarische Staat und die katarische Gesellschaft verweigern Frauen und Menschen der LGBTQI*-Bewegung elementare Menschenrechte.

Ich kann mich noch gut an die WM 2006 im eigenen Land erinnern: Da haben sich Kirchengemeinden und die Diakonie mit einer Kampagne für fair gefertigte und gehandelte Fußbälle eingesetzt: Fußbälle, die ohne Kinderarbeit, dafür mit Mindestlohn und umweltschonend gefertigt werden. Bewahrung der Schöpfung und Gerechtigkeit gehören unauflöslich zusammen! In Katar sind diese Grundsätze umso tiefgreifender verletzt.

Das eigentliche Problem ist für mich die FIFA. Sie hat zuletzt wider besseren Wissens Großturniere nach Russland und nun nach Katar vergeben – unter massiver Korruption und ohne jegliche Verantwortungsübernahme für die toten Arbeiter. Die FIFA interessiert augenscheinlich mehr das große Geld als der Fußball.

Die Frage nach „Gucken“ oder „Nicht-Gucken“ greift für mich aber zu kurz. Das Geschäft ist gemacht. Der Ball wird rollen. Wichtiger erscheinen mir Fragen wie:

Schaut die Öffentlichkeit auch nach der WM nach Katar? Verstetigen sich (langsame) gesellschaftliche Verbesserungen, die die WM-Verfechtern anführen?

Auch wenn sie bei der Vergabe der WM oft noch Kinder waren und nun Fußball spielen wollen: Wie nutzen die Fußballer ihre Reichweite und Popularität, um unumwunden für die Werte des Fußballs einzustehen? Was tut der DFB als weltweit größter nationaler Verband auch nach der WM?

Wie selbstkritisch sind wir insgesamt in der Debatte? Wir beziehen für unseren Lebensstandard demnächst nicht wenig Gas aus Katar. Gas ist existentieller als Fußball. Aber auch dieses „Geschäft“ wirft die selben Anfragen auf.

Und paradox gefragt: Können wir uns – dem Fußball zuliebe! – einem Turnier entziehen, ohne auf Fußball zu verzichten? In vielen Kneipen laufen kreative Alternativprogramme mit Kicker-Turnieren und Diskussionsveranstaltungen.

Auf den Leinwänden werden nicht WM-Spiele sondern lokale Derbys oder alte

Fußallklassiker laufen.

Zur Diakonie gehört, über komplexe Fragen miteinander ins Gespräch zu kommen…

EKD-Seite zur WM: https://www.ekd.de/fussball-wm-2022-74735.htm