Dabei bleiben – Pfingsten und die Wirkung

Wie war wohl der nächste Morgen nach dem Pfingstwunder? Die Jünger werden keinen klassischen „Kater“ gehabt haben, Petrus betont ausdrücklich in seiner Predigt, dass keiner betrunken war. Predigt – Pfingsten 2022 – Haltern am See/Lippramsdorf

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Aber ist der buchstäbliche Rausch schnell verflogen? Ist in religiösen Dingen die Begeisterung groß, ist es die Ernüchterung danach oft auch.

Weht der Geist wirklich, wo er will, kann der Geist theoretisch auch mal nicht wehen.

Wir erleben gerade so einen Kater: Meschen wenden sich ab, vermissen nichts ohne Kirche oder ohne Gott. Corona hat unglaublich viel verändert, aber nicht nur die Pandemie an sich. Sie hat nur vorhandene Veränderungen nur sichtbarer gemacht und beschleunigt. Das nur noch 50% der Bevölkerung einer Kirche angehören, wird medial als Zeitenwende gewertet, und plötzlich werden Teilnehmerzahlen bei Katholikentagen – „nur 27.000!“ – debattiert, als wäre die Kirche ein kriselnder und schlecht besuchter Fußballverein.

Und schauen wir über uns selbst hinaus – was hoffentlich unserer vorderster Blick ist -, dann sehen wir den Ungeist eines Krieg in Europa. Dieser Krieg bringt unser komplexes Leben aus dem Takt, aber vor allem gefährdet dieser Krieg die Lebenschancen (oder sogar das Leben selbst) ganzer Generationen unter den Kriegsparteien.

Pfingsten wird damit zu einer Hoffnung: Gott möge seine seine Welt und seine Kirche neu aufzurütteln! Unser Glaube soll nicht schrumpfen, sondern wachsen, und zwar ohne irgendwelche eigenen Bemühungen!

II.

„Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen

/ und ihr werden meine Zeugen sein.“

Das gibt der Auferstandene seinen Jünger unmittelbar vor der Himmelfahrt mit auf den Weg. Das ist in der Apg die Vorgeschichte.

Die theologische Frage, die dahintersteckt: Wie können die Jünger ohne die Gegenwart des leibhaftigen Christus weiterhin Gemeinschaft sein? Wie festigt sich das Leben der erste Gemeinde? Was sind die absolut unaufgebbaren Formen, Inhalte, Überzeugungen aus der Jesus-Zeit? Und wie weit geht – zwangsläufig! – die Freiheit der ersten Christen*innen, ihren Glauben für ihre Zeit neu zu interpretieren?

Pfingsten ist tatsächlich weniger der Geburtstag der Kirche. Pfingsten ist der Moment, an dem der Glaube erwachsen wird.

III.

Daher interessiert mich weniger nächste Morgen, sondern was grundsätzlich mit den geisterfüllten Menschen passierte.  – Sie lassen sich taufen – und dann heißt es von ihnen:

Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. (Apg 2,42)

Wenn der Geist für uns unverfügbar ist und bleiben soll – dann kann man aber an diesem Satz ablesen, was die unmittelbare Folge und Wirkung war – und was – typisch protestantisch – in die Arbeit führt.

Die junge Christengemeinschaft startet ihr Gemeindeleben, ohne Jesus, aber erfüllt vom Geist. Selbstverantwortlich, aber gebunden an den überbrachten Glauben.

Sie blieben beständig in der Lehre der Apostel.

Die ersten Christen*innen sammeln sich um die gemeinsame Botschaft. Die fasste vor allem Paulus in seinen Briefe zusammen, verbreitete sie durch Gemeindebesuche (Reisen in der Apg) in der gesamten Region, hatte seine Netzwerker etwa in Timotheus oder erste Diakonin Phöbe.

Die „Lehre der Apostel“ ist im NT – ganz „evangelisch“ – ein verdichtetes Bekenntnis des Wesentlichen:

„dass Christus gestorben ist und begraben worden ist, dass er auferstanden ist am dritten Tage (1Kor 15,3).

Dieses Bekenntnis ist so wichtig, um sich mit fundamentalen Anfragen (Anfeindungen) auseinanderzusetzen: Jesus ist gar nicht gestorben – doch sogar begraben -!, er ist nicht auferstanden – doch, er ist vielen erschienen, sogar dem Paulus…

Der Glaube wird von anderen hinterfragt. Darauf braucht die Gemeinde eine Antwort. Dafür lohnt es sich streiten, zu argumentieren und einzustehen.

Dafür wird es auch nötig, Bekenntnisse – faktisch die evangelische Variante von kirchlicher Lehrbildung – von Zeit zu Zeit neu zu fassen, um den alten Wahrheitsgehalt der Jesus-Zeit frei und selbstverantwortlich in die aktuelle Zeit herüberzutragen. Daher haben wir heute ein Bekenntnis von Konfirmanden gesprochen.

Sie blieben beständig in der Gemeinschaft.

Mein erster Impuls: Keiner geht. Oder umgekehrt: keine wird ausgeschlossen. Nirgendwo bewegt sich die Gemeinschaft weg von anderen Menschen.

Das ist meine große Sehnsucht für die Zeit nach der Pandemie: Gemeindeleben neu anzufachen, wissend, dass viele sich zurückgezogen haben, dass es noch mehr Individualismus gibt.

Bleiben wir „beständig“, halten wir unsere Orte offen und aufrecht. Denn das Wir wird wieder gefragt sein! Sicher anders, aber ich gebe mich nicht ab mit der Analyse der führenden Soziologen, dass wir nur noch eine Gesellschaft von Singularitäten sind (Andreas Reckwitz) oder der Wunsch nach Solidarität und Zusammenhalt nur eine soziale Illusion ist (Armin Nassehi).

Schauen wir genauer hin, wie sich Menschen in Deutschland für Ukrainer*innen einsetzten. Da feiern wir in dieser Gemeinde so viele Taufen, weil Familien merken, dass ihre Kinder über sie selbst hinaus Orte brauchen, an denen sie heimisch werden. Da entsteht auf einem Konficamp plötzlich Gemeinschaft, die Ältere an die Jugendfreizeiten auf Äpplö erinnern lassen.

Ist das denn nur „romantisch“ oder kann das nicht zur Hoffnung werden, dass – sicher anders als früher – eine solche heilsame Gemeinschaft da ist, gebraucht wird und trägt?

„Gemeinschaft“ steht da übrigens, nicht „Kirche“. Die ersten Christ*innen denken in Botschaft und Ordnungen, aber sie haben noch keine feste Kirche vor Augen, mit Mitgliedschaftsprinzip, Berufen. Diese Gemeinschaft ist weiterzudenken und offener, ihre Ränder verschieben sich. Kirche muss wieder zur Gemeinschaft finden!

Sie blieben beständig im Brotbrechen und im Gebet.

Wenn der Glaube erwachsen wird, geht es auch um das richtige Tun, um das Übernehmen von Verantwortung. Die schnell wachsende Gemeinde muss bald schon organsieren, dass nicht nur gepredigt wird, sondern Witwen und Waise auch ordentlich versorgt werden (Apg 6). Solidarität und Gottesdienst – das sind zwei Seiten der gleichen Medaille. In den Tempel gehen – und den Gelähmten davor buchstäblich aufrichten (Apg 3) – diese Geschichte schließt sich direkt ans Pfingstwunder an.

Womöglich haben wir gemerkt, was uns gefehlt hat in den zweieinhalb Jahren ohne Abendmahl – und damit ohne sichtbares Zeichen, der Gemeinschaft untereinander und mit Christus eine Gestalt zu geben.

Wir lernen wieder Beten durch den Krieg in der Ukraine, weil wir merken, dass mit unserer Macht nichts getan ist. – Ich wünsche mir, dass unsere Andachten und Impulse am Anfang von Sitzungen oder Arbeitswochen nicht nur aus einem Predigtgedanken bestehen, sondern selbstverständlich mit einem Gebet verbunden. Daran sind wir als Kirche zu erkennen.

IV.

Der Glaube wird mit der Geistkraft erwachsen. Die ersten Christ*innen können beständig bleiben in der Lehre der Apostel, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen, im Gebet.

Das ist damals übrigens schon eine Idealvorstellung und wahrscheinlich keine Realität in der ersten Gemeinde. Aber diese Beschreibung drückt die Hoffnung und die Bereitschaft aus, es mit Beständigkeit zu versuchen, als Ausfluss und Konsequenz des Gestöses an Pfingsten.

Beständig bleiben. Festanhangen, sagt das Wörterbuch auch. Sich emsig beschäftigen mit … (da hört man die Arbeit raus …), dauerhaft auf etwas bedacht sein, festhalten an, auch: etwas fortsetzen…

Wir sind mitten in unserer Aufgabe. Mehr noch: Wir sind mitten in der Hoffnung, dass Gottes Geistkraft uns alles geben wird, was wir dazu brauchen: Mut, Trost, Zuversicht, Ausdauer, Phantasie, Humor, die Gabe, Menschen miteinzubinden, die Gelassenheit, wachsen zu lassen, was gesät ist, und den Kampfgeist, wo Menschen unsere Stimme und Solidarität erwarten.

So wäre ich gerne am nächsten Tag nach dem tosenden Pfingstwunder aufgewacht.

Ich wache jeden Morgen so auf, als Getaufter und – tatsächlich – Gegeisterter. So wache ich jeden Morgen auf, auch 2.000 Jahre später noch, weil andere vor mir und andere um mich herum beständig waren, dran bleiben durch Gottes Geist: an den alten Glaubenssätzen, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet.