Hoffnung – gerade jetzt

Vom „neuen Himmel und der neuen Erde“ werde ich lesen in unserer Altenheim-Andacht diese Woche, in der wir der Verstorbenen dieses Kirchenjahres gedenken. Wie hören Bewohnerinnen, Bewohner und Pflegekräfte diese Worte Gottes?

Andacht in der Kirchenzeitung „Unsere Kirche“, November 21

Im letzten Jahr fielen die Gedenkgottesdienste wegen der Pandemie aus. Ausgerechnet über Weihnachten erkrankten dann in einem Haus viele Bewohnerinnen und Bewohner. Wir kämpften gegen das unsichtbare Virus. Dennoch starben etliche daran.

Einmal mehr stehen die Alltagserfahrungen gegen das, was Gott verheißt. Gott sagt: Keine Alten soll es geben, die ihre Jahre nicht erfüllen. Das wünschen wir uns doch für unsere Altenheime und darüber hinaus: Dass Menschen bis ins hohe Alter – auch pflegebedürftig – gut leben und beizeiten ihr Leben „vollenden“ können. Ein Leben soll nicht zu Ende gehen, sondern zum Ziel kommen.

 

Predigttext
17 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. 18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zur Wonne und sein Volk zur Freude, 19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. 20 Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. 21 Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. 22 Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen. 23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des Herrn, und ihre Nachkommen sind bei ihnen. 24 Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. 25 Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der Herr.

Und jetzt geht es wie­der los?

Welche Sehnsucht und welche Vorstellungen vom Lebensabend zerstoben wohl in der Corona-Zeit – nicht erst als bei uns das Virus ausbrach, sondern schon vorher? Zwischenzeitlich gab es keine Besuche, keine Kontakte untereinander und mit den Angehörigen. Das steckt allen – Bewohnern, Angehörigen, Pflegekräften – noch immer in den Knochen. Für uns als Diakonie war der Druck der Verordnungen zuweilen stärker als die Vorstellungen von einem Lebensabend in biblischer Fülle – fraglos eine Schuld! Und geht es jetzt wieder los?

Finden die Jesaja-Worte Gehör in unserem Altenheimgottesdienst? Vielleicht bringen sie etwas zum Klingen, woran Jüngere kaum denken mögen: Gibt es gerade jetzt die Hoffnung, dass das Leben nicht mehr einfach abbricht? Gibt es gerade jetzt eine neue Sehnsucht, diejenigen Gespräche zu führen, die (noch) zu führen sind?

Tatsächlich ist der Tod nicht aus dem Spiel. Bei Jesajas „neuem Himmel und neuer Erde“ gibt es – anders als in der neutestamentlichen Offenbarung des Johannes – den Tod immer noch. Aber er bekommt andere Vorzeichen: Keiner soll unvollendet und vorzeitig sterben. „Nicht der Tod ist verbannt von der neuen Erde, sondern das nicht zu Ende gelebte Leben.“ (Jürgen Ebach)

Dennoch bleibt die Spannung groß zwischen dem, was wir täglich erfahren, und dieser beschriebenen neuen Schöpfung. (Und von Lamm und Wolf, die beieinander weiden, spreche ich gar nicht erst.)

Möge uns das, was wir bisher in der Pandemie erlebt haben, nicht lähmen und Angst machen. Die vorigen Himmel und Erde werden wir uns „nicht mehr zu Herzen nehmen“, ist verheißen! Ich habe tapfere lebenserfahrene alte Menschen vor Augen, deren Blick (immer noch) nach vorn geht: „Wir haben schon so viel geschafft. Das schaffen wir auch noch.“

In Visionen steckt stets eine Kraft für die Gegenwart. Wir können uns daran ausrichten und das Unsrige tun. Etwa in der Pflege: Wie gelingt es, dass Alte ein erfülltes Leben vollenden dürfen, unabhängig von, aber gerade auch in Corona-Zeiten? Und welche Bilder gelingender und gerechter (Pflege-)Arbeit stecken im Jesaja-Text?

Bei Jesaja redet Gott. Gott, und wahrscheinlich nur Gott, kann so vollmundig reden. Der Schöpfer kann ändern, was ist, sogar sich selbst. Darauf setze ich in unüberschaubaren Zeiten, und ich bin gespannt, welche Hoffnung dieser Text entfachen wird. Ob alt oder jung: Wir dürfen große Erwartungen haben!