In den Garten – Liebeserklärung an ein Vereinslokal

Schon vor Fanclubzeiten haben die Bördemalocher im Schrebergarten Ardeyblick ihr Vereinsheim. Eine Liebeserklärung …

 

Wann ich das erste Mal in den Schrebergarten geraten bin, entzieht sich meiner Erinnerung: Ich muss in einem Alter gewesen sein, in dem ich schon Alkohol trinken durfte, denn sonst würde ich mich heute nicht daran erinnern, dass man im Ardeyblick eben immer Bier trinkt.

Kaffee und Kuchen gibt es an dem einen Wochenende für Schrebergärtner und die benachbarten Bewohner des Theodor-Fliedner-Heims, am anderen Wochenende sind es hunderte Schwartzgelbe, die sich vor dem Spiel auf ein Pils treffen. Und auf ein Pläuschchen. Und zum Skatkloppen, falls man Stammgast des Jahrzehnts ist und in den Sitzgruppen am Fenster sitzen darf.

Einmal hat Ingo aus Spaß einen „Hagebuttentee“ bestellt, und auch einen bekommen. Da hat er geguckt. Sonst dreht sich alles ums Pils, und alles andere rangt sich drumrum: die „ehrliche“ Inneneinrichtung mit Täfelung, Trennwand und Wandbild unter dem Stammtisch auf der Bühne; Currywurst-Stand auf der Terrasse bei jeder Temperatur (einmal jährlich kommt das Gesundheitsamt und bemüht sich nur zu monieren, dass die Speisekarte zu klein gedruckt ist); Wimpel-Bord über Theke und Fensterfront, wo auch unser Wimpel seinen Ort hat; die roten Stühle für draußen.

Es war auf alle Fälle um 1993, als wir vor UEFA-Cup-Schlachten plötzlich regelmäßig in den  Schrebergarten einkehrten, Michael, Ingo, Harald, „Zinne“ aus Duisburg und wer sonst noch: Dann türmten sich die Plastikbecher am Tisch auf. Heute heißt dieser Ort immer noch „Ardeyblick“, obwohl wir jetzt mit Euro zahlen, wir nicht mehr in ein Stadion, sondern in einen Versicherer-„Park“ gehen. Wir sind inzwischen verheiratet oder längst wieder geschieden. Aber im Ardeyblick türmen sich immer noch die Bierbecher am Platz. Noch immer drängeln sich Bedienungen durch, noch immer sitzen wir mittendrin, wo wir mal begonnen haben. Noch immer ist Agnes die Chefin. Nur zu besonderen Anlässen gibt es Papiertischdecken, und  wie immer gibt es ab 14 Uhr keine Papierhandtücher mehr auf der Herrentoilette. Die Welt hat sich verändert, aber der Ardeyblick ist die unverrückbare Ouvertüre für die Fußball-Oper einen Weitschuss nebenan.

Mit etwas Pech wäre das 2005/06 vorbei gewesen. Da kamen die Planierraupen und machten aus dem Großteil der Schrebergärten den Parkplatz A8 für die WM im eigenen Lande. Zuvor ging man aus der Ausgangstür und geradeaus Richtung Nordtribüne, entlang an Gärten und Gärtnern, die schon einmal auf zwei Punkte anstießen oder ein Grillwürstchen rüberwachsen ließen. Ja, damals ging es noch um zwei Punkte … Glücklicherweise darf ein Altenheim nicht direkt an einen Großraumparkplatz grenzen. Daher blieben zwei Parzellen und das Vereinsheim stehen.

Die Tischtennisplatten und der Vorgarten mussten weichen, ein Wall wurde angeschüttet, ein Hotel auf der Rückseite gebaut – aber der Ardeyblick ist noch da und mittendrin unser Tisch. Der Tisch ist heute oft zu klein bzw. unser Fanclub immer größer geworden. Gut, dass „die Südtribüne“ schon früh geht, und die „Sitzplätze“ noch bleiben können: So darf jeder mal Platz nehmen.

Die absolute Stadionnähe witterten zwischenzeitlich auch Auswärtsfans: Dagegen wurde dann gesungen, was das Zeug hielt, vor allem wenn sich die Blauen in den Schankraum verirrten oder die, deren Lederhosen wir ausziehen wollten. Theater gab es kaum. Einmal kam Agnes aber hinter der Theke hervor, packte einen Gladbach-Fan, der herumgepöbelt hatte, beherzt an der Kutte, öffnete mit der anderen Hand die Ausgangstür und warf ihn buchstäblich raus: „Hier nicht!“ – Und der ganze Saal johlte und türmte dann weiter Plastikgläser auf.

„Hier wird sich gar nichts ändern“ – dieser Satz war Programm oder zumindest Wunsch und Vater des Gedanken: Keine Parkplätze nebenan! – Leider doch! Niemals kommt das Rauchverbot! – Glücklicherweise doch, denn oft konnte man nicht durch den Raum hindurchschauen. Kein Fernsehbildschirm! – Tatsächlich gibt es den immer noch nicht („wegen er GEZ“, sagt Agnes) und mit der Ausnahme, dass Harald natürlich zu diversen Saisonabschlussfeiern alle Gerätschaften mitbrachte, damit wir alle „Sportstudio“ schauen konnten. Niemals Hagebuttentee – doch, den bekommt man hier tatsächlich auch…

Es hat sich über die Jahre doch viel verändert: Wir brauchen kein heimlich mitgebrachtes Dosenbier mehr unterm Tisch in die Plastikbecher umkippen, weil wir uns inzwischen das Bier leisten können. Unser Magen hat sich über die Jahrzehnte an Thier-Bier gewöhnt. Wir hören etwas schlechter (oder ist es lauter geworden oder haben wir uns mehr zu erzählen?). Der Stammtisch ist in Wirklichkeit unser Umschlagplatz für Last-Minute-Kartengeschäfte geworden. Die Autokorrektur meines Handys schreibt „Schrebergarten“ schon nach vier Buchstaben aus. Inzwischen sitzen unsere Kinder mit am Tisch und trinken (noch) Fanta.

Aber – und das ist doch beruhigend: Es stapeln sich immer wieder die Plastikbecher auf unserem Tisch. „Oder wollt Ihr Gläser?“ hat Agnes einmal hinsichtlich einer Saisonabschlussfeier gefragt, und bevor ich antworten konnte, schon selber mit dem Kopf geschüttelt.

Dietmar Kehlbreier