Keine Apokalypse, kein Weltuntergang (Andacht zu Apk 1,9-18)

Da hockt Johannes um das Jahr 100 auf der Insel Patmos, als Gefangener der Römer. Im Gefängnis empfängt er von Gott selbst einen Auftrag: Schreibe auf, was du schaust und sende es den jungen Gemeinden in Kleinasien, der heutigen Türkei. Die Christen riskierten dort ihr Leben. Sie glauben an den unsichtbaren Gott, gar an den ohnmächtigen gekreuzigten Christus – und beten nicht den römischen Kaiser an mit seinem Pomp und seiner Macht.

 

Johannes schaut Gottes unglaubliche Botschaft: Fürchte dich nicht! (Soweit noch eine Weihnachtsbotschaft, und dann:) Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. […] Ich habe die Schlüssel des Todes und der Hölle“.

 

Hier schwingt sich die göttliche Macht auf in den ultimativen Kampf gegen die Macht des Bösen. Die Apokalyse ist eröffnet: Gott auf dem Thron, singende Engel drumherum, ein Buch mit sieben Siegeln, sechs sind schon geöffnet. Die Völker waten auf. Posaunenklänge fürs siebte Siegel. Aber erst fällt ein Stern brennend vom Himmel. Überschwemmungen überall auf der Erde. Ein Adler steigt auf, ungewöhnlich wehklagend. Donnerklänge, ein Engel steht über dem tobenden Meer mit dem Buch in der Hand. Aber erst kommt ein roter Drache ins Spiel, der sich vor einer gebärenden Frau positioniert, um ihr Kind zu fressen …

 

Ja, die Apokalypse ist eröffnet, auch literarisch: Das ist alles nachzulesen im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, dem einzigen apokalyptischen Buch des Neuen Testaments.

 

II.

Wie weit sind wir davon entfernt, von diesen Bildern? Ja, die Bilder sind Codes: Die Gefängniswachen sollten wohl nicht merken, dass Johannes die damalige Wirklichkeit in seinem Text beschreibt, den Kaiserkult, die Frage nach dem Gehorsam und dem Anbeten.

 

Wie weit sind wir entfernt von einer solchen apokalyptischen Vorstellungwelt? – Auf den ersten Blick reicht ein Blick in die Zeitung: Bilder von den Waldbränden in Australien, dann die Schlammmassen, dann die verdurstenden Tiere – apokalyptischen Ausmaßes. Die Gefahr eines Atomkriegs steigt wieder, nachdem der US-Präsident das Iran-Abkommen aufgekündigt hat – und sein „Friedensplan“ für den Nahen Osten gießt eher Öl in den Konflikt. Das Corona-Virus – wird es so doch schlimm die Spanische Grippe, an der vor 100 Jahren weltweit mindestens 25 Millionen Menschen starben? Für manche beginnt der Untergang des Abendlandes damit, dass Deutschland sich wegen zu weniger deutscher Kinder selbst abschafft. Die Kirche verliert bis 2060 die Hälfte ihrer Finanzkraft, und der Kreis Recklinghausen braucht bis dahin 60 zusätzlich Altenheime. Ist der Brexit das Ende des europäischen Projekts?

 

III.

Schluss! Nein, ich will das nicht! –

 

Ich merke, dass die Offenbarung des Johannes heute womöglich bestens in die Hysterien unserer Zeit passte, in die Wut-Foren und Angst-Räumen. Der Text des Johannes würde massenhaft geliket von den Verschwörungstheoretikern und Weltuntergangspredigern. Aber ist denn das sein Ziel? Und geht es heute überhaupt darum, sich auf den Showdown des Weltendes vorzubereiten?

 

Ich meine: nein!

 

IV.

Die Apokalypse am Ende der Bibel demaskiert schon damals die Mächtigen der Welt. Wenn man die sprachlichen Bilder und Codes dechiffriert, dann wird die Machtfrage gestellt, die gerade verhindern soll, dass die Menschheit sich auf das Ende der Welt zubewegt.

 

Auch gegen die Verschwörungstheorien und die Hysterie dieser Zeit müsste man fragen: Wer will eigentlich, dass wir apokalyptisch denken? Wer streut die Angst? – Greta Thunberg sagt eben nicht den Weltuntergang voraus, sondern dass die Welt jetzt gerettet werden kann und muss. – Die Briten hatten schon Sonderrechte als EU-Mitglied; man wird ihnen auch ein paar als Nichtmitglieder einräumen und die EU könnte stärker geworden sein. Womöglich stolpert der amerikanische Präsident demnächst über sich selbst. Und so weiter, und so weiter…

 

V.

Die Offenbarung des Johannes bringt eine Macht mit ins Spiel, die in den heutigen Weltuntergangsszenarien keine Rolle spielt: die Macht und Stärke Gottes. Gott zeigt sich einem Gefangenen auf Patmos in einer Gefängniszelle, in einer lebensbedrohlichen Lage. Gott erhebt den Anspruch „der Erste und Letzte“ zu sein, der „lebendig ist von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Er hält gegen das Totale und Totalitäre, das vom Menschen ausgeht, dagegen.

 

Gott weckt bei mir Zuversicht, als Widerstand gegen jedes Endzeitszenario. Das will ich nicht denken. Ich sehe, dass die Welt nicht aus den Fugen geraten ist, auch wenn es viel zu verbessern gibt. Lange war die Größe der Herausforderung nicht so sichtbar, ja. Aber noch nie hatten wir so viele Mittel und Möglichkeiten, Dinge zu verändern.

 

Nelson Mandela hat von der „Kraft der großen Sache“ gesprochen – eine (womöglich eine auch im Gefängnis gewonnene) Zuversicht, dass sich alles ändern kann, gerade dann wenn die Herausforderung groß ist. Und sich Wut und Angst, Hass und Hysterie wandeln können in neue ungeahnte Lebensmöglichkeiten.

 

VI.

Sollte die Welt dann doch einmal untergehen … – die Offenbarung des Johannes endet mit Gottes neuem Himmel und Gottes neuer Erde: Von dem Thron her die Stimme: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und selbst, Gott mit ihnen, ihr Gott. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei, noch Schmerz.“

 

Welch ein doppelter Boden!