Ich steh an deiner Krippen hier (Weihnachten 2012)

Alle Krippenfiguren stehen an ihrer Stelle. Im Konfirmandenunterricht haben wir eine Holzkrippe aufgebaut und nach und alle Unklarheiten über die Weihnachtsgeschichte beseitigt.

Dialog-Predigt – Lutherkirche Altena

Christmette 2012

„Bewegende stille Nacht“

Der Engel steht bei den Hirten, die Weisen kommen später. Die Hirten bei Maria und Josef: andächtig.

Es war eine Kulisse voller himmlischer Ruhe und Stille.

Schauen Sie mal zu Hause auf Ihre Krippenszene, wenn sie eine Krippe haben!

Auch hier in der Kirche: Man erfreut sich an dem Standbild!

 

B.

Wenn da nicht meine eigene innere Unruhe wäre.

Es fällt mir nicht leicht, runter zu kommen!

Jetzt in diesem Moment: nach dem Heiligenabend, dem Essen, den Geschenken.

Überhaupt: nach einer Adventszeit, die voller hektischer Bewegungen war. Wie überhaupt das Jahr in meiner Wahrnehmung so schnell vergangen ist.

Manche Begegnung, die intensiver hätte sein sollen oder es verdient hätte, fortgesetzt zu werden.

Ereignisse, die vorbeiflogen und wie weg sind …

 

A.

Gleichzeitig stelle ich aber bei aller Bewegung und Beweglichkeit – bei aller Geschwindigkeit unserer Zeit und unserer Welt – Stillstand fest. An vielen Stellen kommen wir nicht weiter, privat, gesellschaftlich, obwohl wir bestens informiert sind und alle Möglichkeiten hätten.

Dieter Hildebrandt, der Kabarettist, inzwischen 85 Jahre, bewirbt sein neues Programm mit einem Gedanken, der das beschreibt:

Die Zeit ist irrer geworden, als ein Irrer sich das je vorstellen konnte. Funktionäre gibt es genug. Aber es funktioniert nichts. Die Informationstechnik explodiert förmlich. Aber niemand weiß was. Jeder ist erreichbar, aber niemand ist zu erreichen. Für alles übernimmt jemand Verantwortung. Aber keiner weiß wer. Und wer immer sich meldet, beteuert: ‚Ich kann doch auch nichts dafür!‘“

Ich könnte ergänzen: Wir sind immer schneller in Bewegung, kommen aber nicht weiter…

 

B.

Da ist ein Stehenbleiben an der Krippe heilsam. „Ich steh an deiner Krippen hier“, dichtete Paul Gerhardt – kein belangloses Vorbeigehen, sondern ein Bleiben, ein Ausharren, ein Hinsehen, mehr noch: ein Wahrnehmen! Wahrnehmen und für wahr nehmen braucht Zeit und Geduld.

– Ich glaube, die Hirten haben viel Zeit mitgenommen, womöglich die ganze Nacht, um beim neugeborenen König der Ehren auszuharren: „Ich sehe dich mit Freuden an / und kann mich nicht sattsehen!“

 

A.

„Und sie kamend eilend“, heißt es aber!

 

B.

Ja, sie kommend vielleicht eilend, aus Vorfreude, weil sie die Botschaft gepackt hat: „Siehe, ich verkündige Euch große Freude“. Sich nicht sattsehen können – das braucht dann aber Zeit!

 

A.

„Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus“ – da ist mindestens genauso viel Bewegung drin wie Muße und Anmut, um mal alte deutsche Worte zu bemühen.

Ich bin mir nicht sicher, ob in der Weihnachtsgeschichte nicht mehr Bewegung drinsteckt, als unsere Krippenstandbilder suggerieren.

 

B.

Aber gerade war Weihnachten doch noch der Moment, wo mal alle hektische Bewegung aussetzt.

 

A.

Es geht nicht nur um hektische Bewegung in der Weihnachtsgeschichte. Diese Unruhe und Hektik und Unsicherheit gibt es auch in der Weihnachtsgeschichte, wie auch in unserem Alltag: die Schikane, ein junges Ehepaar trotz Schwangerschaft zur Volkszählung einzuberufen – das hat sicher hektische Bewegung erzeugt. Dann die Geburt. Das Aufsuchen des Stalls. Das meine ich nicht …

 

B.

Die Hirten hocken seelenruhig auf dem Felde …

 

A.

Auch nur so seelenruhig, wie heute Menschen sind, die im Dunklen hocken, auf dem Feld, buchstäblich vor den Toren des hellerleuchteten Lebens. Die von der Hand in den Mund leben. Das ist doch eher eine trügerische Ruhe, vielleicht sogar Lethargie. Lähmender Stillstand. Ich denke, dass sie ängstlich dasaßen.

Nein, schau mal genauer hin, was dann passiert: ganz viel Bewegung: ein Engel tritt zu den Hirten – ein Rauschen vom Himmel, stelle ich mir vor. „Heute ist euch der Heiland geboren! Gar nicht weit von hier! Habt keine Angst mehr!“

 

B.

Hm, und die Hirten brechen auf …

 

A.: Genau wie wir uns alle auf gemacht haben durch den Advent, das ist doch Aufbruch gerade jenseits des normalen Alltagskarussels: sich Gedanken zu machen, wen man mit Zeit oder einem Besuch beschenkt, wem man schreibt. Vielleicht auch: auf wen man neu zugeht mit der ausgestreckten Hand der Versöhnung. Advent ist eine alte Bußzeit, die zur Umkehr einlädt. Und Umkehr ist Bewegung!

 

B.

Als die Hirten dann beim Kind sind – da ist dann Ruhe!

 

A.

Ja, aber eben keine Friedhofsruhe: Die „Stille Nacht“ ist voller Freude und Herzenwendungen. Gegenseitige Herzenswendungen und Herzensbewegungen gar: Die Hirten eilen weiter, die frohe Botschaft weiterzusagen: sie preisen und loben Gott für alles, was sie gehört und gesehen haben. Und Maria …

„Maria bewegte aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“

 

A.:

Behalten und bewegen: Die Weihnachtsgeschichte hat beides: den Moment, wo alles steht und heil ist, und den bewegende Aufbruch und Neubeginn.

 

B.

Für mich ist es das Geheimnis von Weihnachten, auch wenn es paradox klingt: Wir erleben in unserem Leben beides: lähmenden Stillstand und hektische Betriebsamkeit. Die Bibel beschreibt dies sehr genau, wenn man auf das Leben der Hirten und auf das Leben von Maria und Josef schaut.

 

A.:

An Weihnachten bricht diese Paradoxie nicht auf, aber sie bekommt andere Vorzeichen: Aus der Hektik wird eine Aufbruch-Bewegung: voller Freude setzen sich die Hirten in Bewegung, die von einer ganz andere Qualität ist. Es geht darum, der Welt von der Geburt des Heilandes zu künden.

 

B.:

Und gleichzeitig wird aus Stagnation und Lähmung eine Ruhe und Gelassenheit, eine neue Gewissheit für ihr Leben, für unser Leben: „Denn euch ist heute der Heiland geboren!“

 

A.:

Wir hier in der Lutherkirche haben uns dieser Paradoxie von Bewegung und Ruhe ausgesetzt: Wir haben uns heute Abend extra nochmals aufgemacht, aus dem warmen Wohnzimmer heraus, um hier am Ende des Heiligabends Stille zu finden. Vielleicht kann man es so sagen: Wir sind gekommen, um für uns diese besondere Botschaft, dass Gott Mensch wird, für uns festzuhalten, und damit in Bewegung zu kommen. Innerlich bewegt Weihnachten zu feiern. In die Schnelllebigkeit unserer Welt etwas von der Klarheit des Engels, von der Freude der Hirten und vom Bewegtseins Marias mitzunehmen. Und hoffentlich unsere hektische Existenz von Weihnachten verändern zu lassen. Oder. Unsere Lähmung, alle Stagnation von der Ruhe und Stille der Heiligen Nacht verändern zu lassen.

 

B.

Dann ist es ja gut, dass wir das Christuskind zur aufgestellten Krippe getragen haben.

 

A.

Ja, und auch im Konfirmandenunterricht haben die Krippenfiguren nicht einfach stillgestanden. Wir haben die Szenen ständig verändert beim Lesen der Weihnachtsgeschichte, weil da Bewegung drin ist. Wir haben die drei Weisen ganz an den Rand gestellt, denn sie kommen ja erst später. Und als dann doch mal alle Figuren kurz standen, kam eine eigenartige Stille auf. Merkwürdig!

 

B.:

Ja, im wahrsten Sinne: merk-würdig! Amen.