Fleisch, nicht digital (Weihnachten 2011 zu Joh 1,14)

In diesen Tagen bin öfters beim Predigtschreiben gestört worden: „Christina ist online“ blinkte auf, gut, wir haben über uns kurz über diesen Gottesdienst verständigt.

Predigt – Christmette Heiligabend 2011

Luther-Kirche Altena

Das Wort ward Fleisch (Joh 1,14)

 

Eine interessante Diskussion entbrannte bei Facebook: „Weinachten wird in der Krippe entschieden“ (nicht unterm Baum). Beim Weiterklicken habe ich mich geärgert, denn da postete jemand, der fürs Kino abgesagt hatte – angeblich keine Zeit.

Es ist verlockend – und auch so einfach bei Facebook: 800 Mill. Mitglieder hat es – man benötigt nicht mal eine Adresse. Nur ein Name. So ist man schnell in Kontakt. Aber es wird so viel Banales geschrieben – dass Er Kopfschmerzen hat, oder Sie kein Brot. Andererseits kam durch die sozialen Netzwerke erst die arabische Revolution so richtig in Schwung, weil durch sie die Bilder an die Weltöffentlichkeit brachten.

 

Am Handy habe ich dann noch stolz mit meiner Nichte Weihnachtslieder gesungen – ich konnte sie sogar auf dem kleinen Bildschirm sehen und ihr winken. Gut, denn ich habe sie lange nicht gesehen!

 

Das alles ist, so finde ich, Ausdruck unserer Welt: für eine Welt, die nicht mehr offline gehen kann. Die unabhängig von Raum und Zeit bereit und offen ist für Kommunikation. Die hohe Mobilitätsanforderungen kennt, unabhängig von Zeitzonen und Zubettgehzeiten.

 

Mitten in eine solche Welt hinein ein weihnachtlicher Predigttext vom Anfang des Johannesevangeliums, alles andere als digital, sondern absolut körperlich:

 

14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.


II.

Das ist kein Text, wonach man ein klassisches Krippenspiel aufführt. Er lebt von seinen gewichtigen Begriffen:

 

„Wort“ meint nicht einfach nur das gesprochene Wort, sondern Verheißung. Botschaft.

 

Diese Verheißungen Gottes werden „Fleisch“, Materie, mehr noch: Mensch, geboren und mit Atem eingehaucht wie bei den ersten Menschen der Schöpfung, die „ein Fleisch“ waren. Irdisch, leiblich. Der Vergänglichkeit unterworfen – in diesen Bereich kommt Gott.

 

Gott bleibt kein Geist, kein Cyber-Wesen, sondern er schafft sich selber neu als Mensch. Paulus schreibt im Phil über Gott: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, den Menschen gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.“

 

Gottes Versprechen finden sich wieder im Jesuskind in der Krippe. Was Gott der Welt verheißen hat, bekommt Hand und Fuß. Das Wort ward Fleisch, oder (BigS): „Die Weisheit wird Materie.“

 

Ich horche auf. In die Welt von Klicks, Mailboxen und Buchstaben hinein: Wort Gottes als etwas Fleischliches. Da ist ein Körper, den Maria und Josef, die Hirten und die Weisen berühren können – konkret, greifbar, angreifbar.

 

Mit allem, was Jesus später in seinem Leben tat, war er ganz Mensch und für die Menschen da. Gott wird Mensch, dir Mensch zu gute.

 

Jesus tut Zeichen, heilt Kranke, richtet Gebeugte auf, gibt Nahrung denen, die hungern, hält den Dürstenden das Wasser des Lebens bereit, gibt Hoffnung denen, die nichts mehr vom Leben erwarten. Wie viele Erzählungen kennen wir, in denen sich Jesus den Menschen nicht nur persönlich begegnet, sondern sich ihnen regelrecht körperlich zuwendet.

 

[Bild von Walter Habdank: Blindenheilung des Bartimäus (Mk 10): ] Wir sehen zwei Männer. Zärtlich hält einer den Kopf des anderen mit seinen Händen. Einer schmiegt sich vertrauensvoll an. Sein Gesicht wirkt gezeichnet..

 

Der andere schaut freundlich, liebevoll, zugewandt. Er ist ganz da, ganz bei ihm. Er sieht ihn ganz genau. „Fleischlich“, körperlich nah ist diese Beziehung.

 

III.

Welcher von beiden ist denn eigentlich Jesus (Jesus stellen wir uns erwachsen anders vor, mit Bart, mit vollem Gesicht)?

 

Ich glaube, dass Walter Habdank Jesus und Bartimäus extra so dargestellt hat, damit wir jeweils selbst ihre Rollen einnehmen können. Er holt – wenn man so will – die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus in unsere menschlichen Beziehungen hinein.

 

Es ist ja die Frage: Ist Gott nur damals, quasi einmal an einem historischen Punkt vor 2.000 Jahren, Mensch geworden? Oder ist die Verbindung, die Gott mit der Welt eingeht, nicht so nah und so endgültig heilsam, dass Gott auch in Dir geboren ist, in Deinem Leben vorkommt?

 

Mich verändert das, wenn ich mir vorstelle: Gott gebiert sich in meiner Selbstwerdung und Solidarität. In meinem Lachen und Weinen.

 

Gott ist auch in mir Fleisch geworden. Ich bin meinem Nächsten ein Abglanz Gottes. Ich verkörpere die Liebe Gottes.

 

Wenn es so ist, wie unendlich wertvoll ist dann jeder Mensch? Gleich an Würde! Gleich in seinem Wunsch nach einem guten Leben, ob er nun in einer schönen Villa lebt oder auf einem Flüchtlingsboot vor Europa treibt!

 

Mein Nächster ist mir gleich als Ebenbild Gottes. Ein Mensch kann den anderen nicht als weniger wert beurteilen. Jeglicher Rassismus oder Sexismus ist ein Verrat an der Botschaft von Bethlehem.

 

IV.

Versetzen wir uns in diese konkrete Begegnung im Stall von Bethlehem –wie alle froh um das Neugeborene herumstehen und für den Moment kein Gestern und Morgen zählt! Sondern nur der Mensch!

Lasst uns schauen, wie der erwachsene Jesus den Menschen begegnete!

Der Mystiker Meister Eckardt schrieb im 13. Jahrhundert: „Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart. Der wichtigste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht. Das notwendigste Werk ist stets die Liebe.“

 

Das Wort Gottes, das fleischgewordene, spricht in unsere schnelle und rasante Zeit. Es ermutigt uns:

Sei mal wirklich da, wo du bist!

Hab mal Mut, dich dem Menschen zuzuwenden, der gerade jetzt Dein Nächster ist! Das reicht voll und ganz!

Traue dem Geheimnis von Weihnachten, dass uns Gottes Herrlichkeit ins Gesicht geschrieben steht – und Gottes Glanz bei unserem Nächsten zu finden ist.

 

Ich glaube, wenn wir uns für solche Erfahrungen öffnen und bereichern lassen, dann wird uns das verändern für die Anforderungen unseres Alltags, denen wir uns nicht immer entziehen können.

 

Meine Mails können an Tiefgang gewinnen. Ich muss nicht jeden Mist posten, aber mal genauer nachfragen, wie’s dem Anderen geht. Wenn ich skypen, dann nocht, weil mich die Technik so fasziniert, sondern die Menschen, denen ich dadurch begegne.

 

Mir ist eine E-Mail geschickt worden mit einem wahrlich weihnachtlichen Text. Gut, dass es E-Mail gibt, und gut, dass jemand an mich gedacht hat, mir so etwas zu schicken. Der Text von Albrecht Gralle beschreibt nochmals, wie „Gottes Fleischwerdung“ in unseren menschlichen Beziehungen ihren Abglanz findet:

 

„Echte Freunde

Freunden kann auch mal der Kragen platzen, wenn sie mit dir reden, aber nur weil ihr Herz für dich bis zum Halse schlägt.

Freunde stört es nicht, bei dir fernzusehen, auch wenn du schon längst ins Bett gegangen bist.

Freunde kämpfen für dich nächtelang im Gebet und sagen Dir: „Ich habe neulich an dich gedacht.“

Freunde möchte deine Welt kennen lernen und entdecken immer neue Erdteile.

Freunde erleben dich mit verklebten Augen, und ungewaschenen Haaren und sehen dahinter deine Einzigartigkeit und Schönheit.

Freunde können es sich leisten, bei einem Witz, den du erzählst, nach der Pointe zu fragen.

Bei Freunden kannst du nachts um halb drei klingeln und fragen: Kaffee oder Tee?

Freunde reden manchmal blödes Zeug, weil sie wissen, dass du keine Goldwaage im Keller hast.

Freunde kennen sich nicht in deiner Brieftasche aus, dafür aber in deinem Kühlschrank.

Freunde geben dir im Winter ihr letztes Hemd und behaupten, sie wollten sich sowieso gerade sonnen.

Freunde machen es so ähnlich wie Gott: Sie mögen dich so wie du bist, trauen dir aber zu, dass du dich verändern lässt.“

 

Amen.