Ist da Geist drin? (Pfingsten 2011 zu Joh 16,5-15)

„ Ist da ein Geist drin?“ fragt mich neulich vor einer Kirchenführung ein Kindergartenkind vor dem Turmeingang und zeigte auf die Kirche. „Nein, natürlich nicht!“, entfuhr es mir. Wir haben doch keine Geister in der Kirche! Davor muss ja nun wirklich keiner Angst haben.

Predigt – Lutherkirche Altena

Pfingstsonntag, 12.6.2011

#Joh 16,5-15, hier: vv.7-11

 

Als es jetzt auf Pfingsten zuging, kam mir das Gespräch wieder vor Augen. Und ich dachte: „Ja hoffentlich ja doch haben wir einen Geist in dieser Kirche!“

 

Das Kind hatte wohl Angst vor bösen Geistern. Da hatte ich ihm Mut machen wollen. Ansonsten gehe ich mal davon aus, dass unserer Kirchenraum und unser Zusammensein hier vom Geist Gottes geprägt ist!

 

Wahrscheinlich muss man unterscheiden zwischen „Ghost“ und „spirit“. Den „spirit“ kündigt Jesus bei Joh 16 wie folgt an:

 

7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, daß ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.

8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht;

 

„Spirit“ ist hier, weil Gott Vater den heiligen Geist als Tröster sendet für die Zeit, da Jesus, der Auferstandene, wieder zu Gott Vater in den Himmel zurückkehrt.

 

Dann brauchen wir den Geist Gottes, beispielsweise um das Evangelium weitersagen zu können. Unter unserer Kanzel hängt eine Taube als Ausdruck, auch als Verheißung, dass das Wort Gottes weitergesagt wird.

 

Wir sagen nicht unsere Worte, sondern das fleischgewordene Wort Gottes (Joh 1): wir verkündigen Jesus und damit Gott Vater. Entsprechend dürfen wir – ob auf der Kanzel oder als getaufte Christen im allgemeinen – vollmundiger reden, als wir selbst verantworten könnten.

 

II.

Ist in unserer Kirche Geist?

 

Wir können mit ihm rechnen, weil Jesus versprochen hat, ihn zu schicken. Wir können hoffen, dass er unsere Herzen erreicht, uns tröstet und befreit, dass er bei der Taufe auf uns niederkommt.

Im ökonomischen Sinne können wir nicht mit dem Geist „rechnen“, dass wir uns einen Nutzen oder einen Mehrwert, einen messbaren Vorteil davon verschaffen könnten:

 

Wie eine Konfi-Gruppe ist – das ist trotz allem pädagogischen Geschick oder Ungeschickt nicht berechenbar. Oder ob Jugendliche, die mit Gott nicht häufig in Berührung kommen, sich von Gott aufschließen lassen – alles das nicht planbar und liegt zu allererst nicht in unserer Hand, sondern auch in Gottes Hand selber!

 

Wie sich der Glauben von [Täufling] entwickelt, wie sein Blick auf Gott wird – das ist trotz einer christlichen Erziehung durch Euch als Eltern und Paten nicht vorhersehbar.

 

Keiner kann einen gelungenen Gottesdienst garantieren, so sehr man ihn gut vorbereitet. Alles, die ihn vorbereiten, können viel Zeit und Arbeit hineinstecken – aber sie können dem Geist keine Arbeit wegnehmen.

 

 

III.

In unserer Kirche ist Geist – aber er ist und bleibt unverfügbar.

 

Das zu realisieren, ist manchmal ärgerlicher als uns lieb ist: Unsere Kirche wird kleiner, ärmer, älter. Schnell stellen auch wir uns die Frage: Wofür können wir noch da sein? – Welchen Nutzen Kirche für die Gesellschaft (noch) hat: für die Werterziehung der Jugendlichen einzutreten; für den Kit zu sorgen in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft; als Anwalt der Schwachen aufzutreten, um die sich sonst keiner mehr kümmert.

 

Alles das sind wir und leisten wir – doch ich wünsche mir, dass wir es sind aus dem Hören auf das Wort Gottes heraus, aus dem Wirken des Geistes Gottes heraus – und dass wir Kirche nicht funktionalisieren oder funktionalisieren lassen.

 

Kirche dürfte ein wenig mehr – im positiven Sinne – „nutz-los“ sein. Ein wenig mehr unkalkulierbarer, mutiger, weil der Geist – so die biblische Pfingst-Erzählung – Kirchenmauern sprengt und Sprachgrenzen. Heute schwebt der Geist sicher über Organigrammen und interessiert sich nicht sonderlich für die neue kirchliche Finanzbuchhaltung.

 

Nochmals: Auch das ist alles wichtig und gehört dazu. Sonst würden wir Schwärmer. Und dennoch reizt es mich manchmal, ein Schild an Kirche und Gemeindehaus zu hängen mit Aufschrift: „Nutz-lose Zone!“ In dem Sinne: Hier wird nicht gefragt, was der Glaube bringt. Es wird schlicht zu ihm eingeladen. Es wird nicht gefragt, was Gottesdienst nützt und wie viele kommen. Sondern wir feiern! Wir lassen uns ein auf die Begegnung mit Gott und auf die Begegnung miteinander, unabhängig von der Frage, was es nützt oder ob es ´was bringt!

 

Was wären wir ohne Pfingsten? Schon im 2. Jhd. hat der Kirchenvater Athenagoras eine Antwort gesucht.

 

„Ohne den Heiligen Geist ist Gott fern, bleibt Jesus in der Vergangenheit, ist das Evangelium nur ein toter Buchstabe, die Kirche ein bloßer Verein, die Autorität eine Herrschaftsform, die Mission Propaganda, die Liturgie Geistbeschwörung und das christliche Leben eine Sklavenmoral.“

 

Die Liturgie wäre eine Geistbeschwörung: An Pfingsten scheiden sich also die Geister: ghost oder spirit. Es ent-scheidet sich, ob wir nur einfach gute Menschen sind – oder ob wir gute Menschen sind, weil uns der Geist Gottes führt. Das ist ein entscheidender Unterschied. Ob wir Menschen gewinnen, um uns und unsere Strukturen zu erhalten („Mission wäre Propaganda“) oder ob wir von der Sache selber so be-geist-ert sind, das wir als Menschen, als Gemeinde abfärben. Ob wir autoritär auftreten („Herrschaftsform“) oder auf die Vollmacht Christi hinweisen („Autorität“).

 

IV.

„Geist ist drin“ – so verheißen es die biblischen Geschichten und so erleben wir es bis heute:

 

Wir haben [Täufling] getauft. Ihm widerfährt das gleich wie Jesus bei seiner Taufe, als sich der Himmel öffnet und der Heilige Geist in einer Taube auf Jesus herabkommt und eine Stimme sagt: „Mein geliebtes Kind. Dich liebe ich.“

[Täufling] ist in diese lange Hoffnungskette von den ersten Jüngern bis zu uns heute eingefügt. Er ist ein Kind des Geistes – weil der Geist Gottes auf ihn kam bei der Taufe.- Er ist ein Kind im Geist Gottes, weil er eingebunden ist in die weltweite Gemeinde Jesu Christi.

[zu Eltern:] Sie haben mir beim Taufgespräch gesagt, wie wichtig es Ihnen ist, dass [Täufling] in eine Gemeinschaft hineingetauft ist. Die alle Grenzen sprengt: kulturelle und ethnische. Besonders schön, dass die zweite Patin orthodoxer Christin ist. Sie symbolisiert das weite Band der Taufe.

 

Ich kann mich auch gut mit den Jüngern und ersten Apostel identifizieren: Anfangs stecken sie zwischen Karfreitag und dem Ostermorgen fest. Sie sind typische „Samstagskinder“, unklar, ob die Trauer über den Tod Jesu überwiegt oder die Freude über seine Auferweckung.

Pfingsten, die Ausschüttung des Geistes, am 50. Tag nach Ostern – ein kleine Ewigkeit! – lässt die Gefühlslage und ihre Hoffnung nach Ostern kippen. Sie selber werden von Samstagskindern zu „Kindern des Lichts“, „Kindern Gottes“, die in der Auferstehungshoffnung leben.

 

Pfingsten verbreitert und verbreitet Ostern. Wenn Ostern ein glimmender Docht ist, dann ist Pfingsten so etwas wie Wachskerze, die drum herum gekleidet wird, damit der Docht lange brennt. Durch Pfingsten wirkt das Christusgeschehen weiter. Bis heute.

 

V.

Vielleicht haben Sie in dieser Woche verfolgt, wie die Jugendliche Thessa bei Facebook zu ihrem 16. Geburtstag eingeladen hat – und folgenreich ein Häkchen zu wenig gesetzt hatte. Somit konnten weltweit die Facebook-Benutzer die Einladung sehen – und 1.500 „Gäste“ kamen vor das Reihenhaus in Hamburg. Natürlich zum Leidwesen des Geburtstagskindes – und hoffentlich nicht zu seinen Kosten.

 

Vielleicht ist das Facebook-Phänomen ein modernes Bild für Pfingsten: miteinander verdrahtet zu sein, über Räume und Zeitzonen hinweg. Menschen finden sich, finden sich wieder. Sie teilen sich, sie teilen sich mit. Rasend schnell breiten sich Botschaften aus.

 

Freilich mit einem Unterschied: Bei der Taufe und in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes sammeln wir keine „Freunde“, sondern wir sind gesammelt als Schwestern und Brüder. Auch ein bunter Haufen, aber in einem Geist. Gemeinsam berufen und beauftragt, Gottes Liebe weiterzusagen.

 

„ Ist da ein Geist drin?“ – Ja, hier ist Geist drin. Und mehr noch: auch über die Mauern dieser alten Kirche hinaus ist Geist drin!