Raus aus dem Paradies (Invocavit zu Gen 3,1-19)

Karneval ist vorbei. Die Passionszeit hat begonnen. Auch das gehört zum Kirchenjahr, ja zum Leben dazu: Das Leben ist kein Rosenmontagszug.

Predigt – Wiblingwerde

Invocavid 2010 #Gen 3,1-20

Nach der Schöpfung, dem Idealzustand, wo alles „gut“ war, der Mensch sogar „sehr gut“, finden wir in der Bibel auch gleich die Geschichte von der „Vertreibung aus dem Paradies“, eine archetypische Geschichte, weit über die Religionsgrenzen hinweg, allgegenwärtig in Kunst, Literatur, Film, Werbung, Philosophie. Ich lese sie zunächst zu gut drei Vierteln:

 

Gen 3,1-19

Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.

Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter den Bäumen im Garten. Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß. Da sprach Gott der HERR zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.

Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen. Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein. Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.

 

Diese Geschichte ist sicher keine historische Geschichte, sondern viel, viel mehr: eine archetypische Geschichte, eine Menschheitsgeschichte, in der alle Fragen vorkommen: Kannst Du, Mensch, Gut und Böse unterscheiden? Bist du doch autonom, frei in deinen Entscheidungen? Wie stehst Du zu Gott? Wer bist du, Mensch, eigentlich?

 

Die Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies steht direkt hinter den beiden Schöpfungsberichten. Dort war alles gut. Sehr gut sogar.

Aber dann kam es – warum eigentlich? – zu einer Störung.

 

Die Schlange muss herhalten, als Symbol. Es geht um Verführung, wofür wir Menschen wohl von Anfang an sehr anfällig sind. „Sein wie Gott“ – welch ein Angebot. Dazu kann man doch nicht „Nein“ sagen? Die Geschichte von der Trennung von Gott führt dazu, dass die Menschen ihre Unschuld verlieren. Der Theologe Paul Tillich hat das den „Verlust der träumenden Unschuld“ genannt.

Es ist ein Verlust auf beiden Seiten: So hatte sich der Schöpfer seine Menschen einmal vorgestellt: Wie Kinder, die es gut haben sollten, die einfach leben sollten, ihr Dasein genießen, den Garten bewahren und bebauen, und gut.

Doch dann greift der Mensch zu den Sternen.

Es ist nicht nur die Verfehlung, dass der Mensch nicht auf Gottes Willen hört und doch vom Baum der Erkenntnis isst. Nein, es geht auch um den Gegenstand, den Inhalt der Verfehlung: dass er gerade vom Baum der Erkenntnis isst, dass er der Mensch also nicht widerstehen kann, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden zu wollen.

Es ist Gott beigemessen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Und nun überschreitet der Mensch so eine Grenzlinie.

„Sein wollen wie Gott“ – wie ist das heute eigentlich mit der sogenannten Präimplantationsdiagnostik (PID), bei der man bei einem Embryo (also entstandenem menschlichen Leben) Untersuchungen hinsichtlich Krankheiten oder auch Geschlecht vornimmt, um ihn dann in die Gebärmutter einzupflanzen oder eben nicht einzupflanzen, d.h. zu verwerfen, d.h. sterben zu lassen? Die Kirchen sprechen sich gegen diese Diagnostik aus, die evangelische nicht ganz so strikt wie die katholische. Eine Mehrheit im Lande ist jedoch laut neuester Pressemeldung dafür: Wenn doch so den Eltern erspart bleibt, ein krankes oder behindertes Kind zu bekommen? Sehr schwierige Frage, ob wir hier einen neuen Sündenfall begehen, uns von Gott trennen, indem wir ihm „ins Handwerk pfuschen“? Was kommt am Ende dabei heraus? Eine Welt, die für „Fehler“, Krankheit, das „Andere“ keinen Platz und keine Fürsorge mehr hat? Experten sagen, die Krux sei, dass man bei der PID nicht mal mehr die Möglichkeit zwischen Gut und Böse hat, sondern eigentlich von einem Konfliktfall in den anderen fällt und nur noch nach dem geringeren Übel fragen kann. Eine alte Geschichte – ganz aktuell!

 

II

Wie ist es um die Verführbarkeit des Menschen bestellt? Man kommt um den Baron und seine Doktorarbeit nicht herum. Welche „Schlange“ das wohl war, die ihm diese Dreistigkeit eingeflüstert hat? Und die Konsequenz? Durchaus „biblisch“, wenn ich so sagen darf, durchaus menschlich – und wir alle sind davor nicht gefeilt:

Erst einmal verstecken und abtauchen (Feigenblätter verdecken beim Weib und ihrem Mann die Nacktheit, derer sie sich plötzlich bewusst werden).

Dann die „Delegation“ von Schuld: Der Baron war junger Familienvater, arbeitssamer Abgeordneter; die Medien haben Druck ausgeübt, die Uni vorverurteilt, die Opposition schadenfroh agitiert.

So wie Adam auf das Weib zeigt (sie hat mir zu essen gegeben!), das Weib auf die Schlage (sie hat mich betrogen).

Fehler einzugestehen, eine Verführung zuzugeben – das fällt dem Menschen nicht leicht.

Vielleicht hilft tatsächlich die Fastenaktion der EKD, „7 Wochen ohne“, wo es diesmal nicht um den großen Bogen um den Kühlschrank oder den Bierkasten geht, sondern um „sieben Wochen ohne Ausreden“.

Sieben Wochen ehrlich sein, obwohl der Ehrliche gemeinhin der Dumme ist? Oder könnte das auch ein Befreiungsschlag sein, einmal nicht das Schwarzen Peter-Spiel mitmachen zu müssen? Ich glaube, es verändert unser Verhältnis zum Mitmenschen, ihn genau mit der Großzügigkeit und Nachsicht zu behandeln, die ihnen Gleiches erlaubt, nämlich keine Ausreden haben brauchen.

 

III.

Und Adam nannte seine Frau Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben. Und Gott der HERR machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.

 

Für den Schöpfer gibt es nur eine Konsequenz: Rauswurf aus dem Paradies, bevor noch Schlimmeres geschehen kann.

 

Es ist ja interessant, dass da im Paradies zwei Bäume stehen, von denen der Mensch die Finger lassen soll: den Baum der Erkenntnis – danach hat er gegriffen. Nun nicht auch noch der Baum des Lebens, in der Mitte des Gartens. Der Baum des Lebens steht für ewiges Leben. Darüber verfügt der Mensch nicht.

 

Sondern ganz anders: Es wartet draußen, außerhalb des Paradieses die Erde: mit Äckern, wo man hart malochen muss, hart verdientes Brot unter stechender Sonne, Staub und Steine und Vergänglichkeit.

 

Das Paradies scheint für immer verloren. Oder nicht? Im LkEv sagt einer der Übeltäter, der neben Jesus gekreuzigt wird, zu Jesus: „Jesus gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ – Und Jesus antwortet: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Schließt sich in der Auferstehungshoffnung des Gekreuzigten der Kreis? Gibt es für den Glaubenden im Tod und im Sterben einen Blick auf die ungestörte Gottesbeziehung, die ungetrübte Schöpfung? Eine Abkehr von dieser Welt der Vergänglichkeit, des Unrechts und des Leides in ein unzerstörtes Dasein mit Gott, dem Schöpfer? – Dieses Wort Jesu verstört jedenfalls im positiven Sinne. Und soll unsere Sicht von einer Welt durchkreuzen, die keiner Hoffnung glaubt, keinen Ausweg sieht, keinem Leben von Ostern her traut.

 

Noch stecken wir in dieser Urgeschichte von Gott und den Menschen. Wir sehen uns konfrontiert mit unserer Sünde. „Sünde“ meint ja nicht eine moralische Verfehlung, sondern schlicht: Trennung vom Ursprung, Leben in und mit einer Störung. Diesen Schaden können wir nicht heilen – und wenn wir uns noch so fromm und gottesfürchtig gebärden. Jegliche Versuche, dass wir Menschen uns selbst durch unser Handeln oder gar durch unsere moralische Integrität den Weg zurück ins Paradies erarbeiteten könnten, scheitern. Die Toten Hosen sagen einst gegen eine regide kirchliche Moral an: „Ich will nicht ins Paradies, wenn der Weg dorthin so schwierig ist.“

Nein, wir sind allein auf Gottes Gnade angewiesen, auf sein Vergeben und Verzeihen. In unserem Leben. Jenseits des Paradieses.

 

Ob eine solche Hoffnung auf Gnade, ein solcher Lichtblick in der Paradies-Geschichte steckt? – Ich glaube ja!

 

Es ist ein schlichter Erzählmoment am Ende: Gott macht dem Mann und seinem Weib Röcke von Fellen und zieht sie ihnen an.

Ursprünglich, in der Schöpfungsgeschichte, schämte sich der Mensch nicht seiner Nackheit. Doch als Gott ihn seines Sündenfalls buchstäblich entkleidet, verstecken sich die beiden vor Gott. Sei es aus Furcht. Sei es aus Scham.

Die Röcke, die sie dann tragen dürfen in der Welt jenseits des Paradieses, stellen sie nicht mehr voreinander bloß. Damit schafft Gott die Voraussetzung, dass der Mensch die Erde bebauen und bewahren kann – und sich nicht mehr verstecken oder mit Feigenblättern verdecken muss. Er kann zu seinen Fehlern stehen. Er darf sie Gott bekennen.

 

Am Ende stehen Engel vor dem Tor zum Paradies. Um den Weg zum Baum des Lebens zu versperren. Der Weg ins Paradies ist uns in diesem Leben versperrt.

 

Aber vielleicht nutzen wir die Passionszeit, um zu überlegen, was uns hindert, in Richtung zu leben, wo der Garten Eden liegt.

Dass ich tatsächlich in unserer modernen Zeit mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten wieder ein Gefühl entwickele, wo die Grenzen der Erkenntnis sind – und damit die Grenzen zwischen Menschlichem und Göttlichem. Grenzen zwischen Verfügbaren und Unverfügbarem.

 

Dass ich ein Gefühl dafür gewinne, wie verführbar und „imperfekt“ ich bin – ich das aber nicht Markel begreifen muss, sondern als Befreiung, zu mir und zu meinen Fehler und vor allem zu Gott als meinem gnädigen Schöpfer zu stehen.