Original, nicht originell (Weihnachten 2010 zu Joh 3,16-21)

„Hast du schon eine originelle Idee für die Weihnachts-predigt?“, fragte ich neulich einen entfernten Kollegen. Beiläufig. „Nein“, antwortete er, „nichts Originelles. Ich sage einfach, dass Gott die Welt geliebt hat und seinen Sohn gesandt hat.“

Predigt – Heiligabend Christvesper 2010

Lutherkirche #Joh 3,16-21

 

Damit sei doch alles gesagt, und überhaupt: Was bräuchte es an Weihnachten Originelles? Es sei doch so wie so alles so aufgeladen: Während die kleinen Kinder es kaum erwarten könnten, bis am Heiligen Abend die Bescherung beginnt, fürchteten sich viele alte, kranke und einsame Menschen vor diesen Festtagen. Weil sich so viele unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Christfest verbinden würden: hier die Vorfreude auf die Geschenke und das frohe Beisammensein in der Familie oder mit Freunden, dort die Angst vorm Alleinsein und den schmerzhaften Erfahrungen aus frühere Zeiten oder die Furcht vor einer ungewissen Zukunft.

 

Kaum ein Tag im Jahr, wo alles zusammenkäme: Sehnsucht, Wehmut. Trauer. Dankbarkeit.

 

Sagte es und ließ mich stehen.

 

Beim Evangelisten begegnet uns die Weihnachtsbotschaft tatsächlich so klar und so einfach. Ohne originelle Verpackung. Ohne Umschweife. Nicht einmal mit einer Erzählung, wie wir sie aus dem Lukasevangelium hörten. Johannes beschränkt sich aufs Wesentliche: Joh 3,16-18(21):

 

16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.

 

Wundersames ist hier gesagt: Gott hat die Welt immer noch lieb – allen Erfahrungen zum Trotz, die er mit uns Menschen macht; auch unseren Erfahrungen zum Trotz, wo wir Gott häufig nicht spüren und damit hadern, wo er denn nun sei.

 

Dort, mitten unter uns, ist er: Seine Liebe gilt Kranken und Gesunden, Reichen und Armen und insbesondere Menschen, die sich verloren fühlen, die wir leicht übersehen. Die Liebe Gottes gilt der schwangeren Maria, der niemand einen Platz zum Bleiben gewähren wollte. Sie gilt den Hirten, die jenseits vom normalen Leben ihr Dasein fristen.

 

Gott liebt die Welt so sehr, dass er seinen Sohn gibt. Er zögert nicht, herunterzusteigen in unsere Welt. Sich der Welt auszusetzen, buchstäblich mit Haut und Haar.

 

Größer ist die Liebe Gottes nicht vorstellbar: Er macht sich selbst angreifbar – denn er fliegt nicht mit kugelsicherer Weste für eine Stippvisite ein. Nein, er kommt als Säugling, der selber bedürftig nach Liebe und Zuneigung ist. Er bleibt – und durchlebt alles, was Menschen durchleben können.

 

Er kommt als Retter – nicht als Richter.

 

 

II.

Was ist das für ein Gott?! Diese Hingabe?! Diese – unserer Alltagserfahrung völlig entgegenstehende – bedingungslose Liebe?!

 

Spielend könnte der Mensch Gottes Liebe ausnutzen. Herodes, der das Jesuskind töten will, sitzt auch schon in den Startlöchern.

 

Tausend andere Beispiele fielen uns ein, auch bei uns selbst. Auch ich kenne Momente, wo ich der bedingungslosen Liebe Gottes nicht traue. Wo mir der Mut zum Aufbruch fehlt, obwohl Gott mich begleiten würde. Wo ich mich nur über Leistung definiere – obwohl ich unabhängig davon / Gottes Geschöpf bin. Wo ich versuche, mit den Mitteln der Welt ans Ziel zu kommen, obwohl Gott uns auf Liebe und Erbarmen weist.

 

Der Predigttext spart das nicht aus. Die Zeichen stehen auf Rettung – so sehr liebt Gott die Welt. Mit seiner Menschwerdung ist ein für alle Mal die Entscheidung gefallen.

 

Aber: Noch gibt es Licht und Dunkelheit und eine vorläufige Scheidung in Gläubige und Ungläubige:

 

18 Wer an den Sohn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.

19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.

20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.

21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.

 

Das ist keine romantische Weihnachtsunterhaltung. Mit der Menschwerdung Gottes ist die Trennlinie sichtbar zwischen Licht und Finsternis, zwischen denen, die erkennen, und denen, die nicht erkennen.

 

Gott erdrückt uns nicht mit seiner Liebe, er drängt sie uns nicht auf. Er ist kein totalitärer Herr. Sondern: Er lässt uns Freiheit. Er tritt gleichsam wieder einen Schritt zurück – und gibt so der Welt auch die Möglichkeit, sich zu verweigern und sich der Weihnachtsbotschaft zu verschließen.

 

Hören wir das gerne?

Hören wir das überhaupt?

Auf welcher Seite sehen wir uns selbst?

 

Schlimm, dass die Fundamentalisten der Religionen genau wissen, wer im Licht und wer in der Finsternis steht. Die Trennlinie aber zieht Gott allein.

So kann nur jeder für sich diese Fragen beantworten:

Erwarten wir von Gott, dass er unser Leben verändert? Erwarten wir dieses Jesuskind in unserem Leben, in unserer Welt? Macht es Sinn, diesem Jesus von Nazareth nachzufolgen? Was würde sich ändern?

 

Wie ernst ist es uns mit der Religion?

 

Auf einem britischen Lesezeichen habe ich gelesen:

„Angenommen, du würdest verhaftet, weil du Christ bist – gäbe es genügend Beweise, dich zu überführen?“

 

Wir singen vom Frieden auf Erden, aber wie erkennbar ist unser Friedensbekenntnis im Afghanistan-Krieg?

Ein Kind in kargen Verhältnissen steht im Mittelpunkt – aber was tun und sagen wir zur Kinderarmut in unserem reichen Land?

Wir hören, wie die heilige Familie in Lebensgefahr nach Ägypten flüchtet – aber schauen wir genau hin, wie sich Europa wie eine Festung gegen Flüchtlinge abschottet?

 

„Angenommen, du würdest verhaftet, weil du Christ bist – gäbe es genügend Beweise, dich zu überführen?“

 

Wenn Gott die Welt (und nicht nur die Kirche!) geliebt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, dann erweist sich das Licht und die Wahrheit mitten in dieser Welt.

 

III.

Gott liebt die Menschen bedingungslos. Wir bedürfen dieser Liebe. Wir können diese Liebe weitergeben.

 

Das ist die alte Botschaft. Nicht originell. Aber original. Und immer wieder neu: In einem Seminar mit angehenden Diakonen entstanden Neufassungen der Seligpreisungen, eine davon aus der Sicht eines liebesbedürftigen Kindes. Gott zeigt sich in einem solchen Kind. Und wir können uns darin auch sehen:

 

Selig die mich mit Liebe empfangen,

die mit Freude und Spannung meine Ankunft erwarten.

 

Selig, die sich Nächte um die Ohren schlagen, um meine Schreie zu hören, und sich um mein Wohl sorgen.

 

Selig, die mir Zeit und Raum geben mich zu entfalten und mich dabei unterstützen.

 

Selig, die mich meine eigenen Erfahrungen machen lassen, die mich auffangen und aufbauen wenn mir etwas misslingt.

 

Selig, die mich loslassen, damit ich auf eigenen Beinen in die Welt gehen kann.

 

Selig, die mich mit offenen Armen empfangen, wenn ich zurück gelaufen komme und Schutz suche.

 

Wohl mir, wenn ich die Liebe, die mir entgegen kommt, spüre, sie anzunehmen weiß und sie erwidern kann.

 

 

Amen.