Brief an den Propheten Jona (Homiletik-Woche Juli 2005)

[DK schreibt einen Brief zu Ende. Murmelnd:] Predige das Wort, steh dazu, sei es zur Zeit oder zur Unzeit.“ [2Tim 4,2] So. Das musste ich jetzt noch drunter schreiben. Was für ein Brief das ist? Andacht in der Woche Gottesdienst ((Kurs 3.2: Homiletik) zu „Predigt“ (Kurs Jericho), 13. Juli 2005

 

– Ich kann ihn Euch gerne vorlesen:

 

[P. liest Brief vor:]

 

Lieber Prophet Jona,

 

ich muss seit Tagen an Deine Erlebnisse denken, wie Du predigen solltest in Ninive.

 

I.

Denn ich finde mich in Dir wieder – auch wenn meine Mission nicht so einseitig die eines Gerichtspropheten ist. Als Du berufen wurdest, hieß es: „Mache Dich auf und geh in die Stadt Ninive und predige gegen sie!“

 

Als meine Kirche mich in den Dienst rief, hieß es zwar nicht explizit, dass ich „gegen“ die Gemeinde predigen soll, sondern schlicht: „Du wirst nun ordiniert, das Evangelium öffentlich zu verkündigen. […] In deiner Verkündigung soll die Gemeinde das Wort ihres Herrn suchen und hören“. Also: Dein Wort soll auch aus meinem Munde klingen. Der Gemeinde nach dem Mund reden – dazu bin auch ich nicht berufen, lieber Jona.

 

II.

Was Du wohl dachtest, wie die Gemeinde auf Dich reagiert? Die haben ja alle eine eigene Meinung, eine eigene Geschichte mit oder ohne Gott. In meinem Ordinationsvorhalt hieß es: Die Gemeinde „wird deine Verkündigung an der Schrift prüfen und dir mit Zuspruch, Rat und Mahnung helfen“. Was steckt da für ein Anspruch drin: Die Gemeinde soll in meiner Predigt Gottes Wort suchen und hören können – und es notfalls bei mir einfordern!

 

Das führt mich schnurstracks zu einer weiteren Gemeinsamkeit mit Dir, Jona: Ab und zu ist mir das Predigen, das Verkündigen eine Nummer zu groß. Nicht nur wegen der Gemeinde. Wenn’s nur das wäre! Nein, sondern wegen der Größe der biblischen Worte. Wegen der Radikalität, mit der sich Gott zu Wort meldet. Wegen der Situation, in die ich sein Wort sprechen soll. Es passt oft nicht. Es sperrt sich: Jona, Du hättest mal am Sonntag nach dem 11. September die Frohe Botschaft verkündigen sollen, so wie ich?!

 

III.

Auch heute ist Dein Thema für Ninive, das Umkehren, unser Thema. Davon bin ich fest überzeugt und nehme mich nicht aus: Jona, wir müssten ganz schnell umkehren: So wie wir unsere Natur verbrauchen. So wie wir auf anderer Leute und zukünftiger Generationen Kosten leben. Wie wir ständig versuchen, gute Gründe für den Krieg zu finden – statt für den Frieden. Das müsste man doch umkehren! Hier kommt meine prophetische Ader raus!

 

Doch erzähl das mal, wenn 20 ältere Frauen unter deiner Kanzel sitzen… Würde ich es doch einmal denen sagen können, die’s wirklich angeht! – Oder steht diese Botschaft allen zu?

 

IV.

Du, Jona, bist nicht nach Ninive gegangen, um den Menschen zu predigen, dass sie umkehren sollen. Du hast Reißaus genommen: ab aufs Schiff und weg. Du hast Dich gedrückt.

 

Wenn ich später einmal in den Spiegel gucke – dann will ich nichts vormachen, so nach dem Motto:

  • Ich war einmal jährlich im Kabarett und habe gelacht, wenn unser System verspottet wurde!
  • Ich habe meine Müll getrennt!
  • Ich habe die „taz“ gelesen – naja, wenigstens abonniert.

Ich war doch dagegen!!! Hat das denn keiner gemerkt?!

 

Nein! So nicht! Auch ich flüchte viel zu häufig, so wie Du, Jona. Das will ich offen zugeben: Wir stehen mit unserer erlösenden Botschaft mitten in der noch nicht erlösten Welt! Da ist viel Ehrlichkeit und Nüchternheit geboten – und wenig Kleinkariertes! Da ist vollmundige Rede dran von Gottes ganz anderer Welt, die möglich ist, und kein mutloses Plappern vom Nachbessern, vom Löcher-Stopfen, vom Neujustieren.

 

V.

Und nun zum Walfisch, Jona: Ich will hoffen, dass Gott auch mich – je weiter ich Reißaus nehme – desto wundersamer mich wieder dahin befördert, wo er mich haben will. Spuck: Da ist er wieder, um zu predigen.

Ohne das Vertrauen, dass Gott mich immer wieder aufhebt, wenn ich versinke in meinem Auftrag – ohne dieses Vertrauen könnte ich kein Wort sagen. Erst recht nicht Gottes Wort.

 

VI.

Ich will nicht so lange schreiben, Jona: Aber eins lerne ich noch von Dir. Du bist schließlich doch nach Ninive gegangen und hast Umkehr gepredigt, wo Umkehr nötig war. Und die Menschen haben dann tatsächlich auf Dich gehört. Sie haben sich geändert.

 

[Empört:] Und Du? – Du hattest nichts besseres zu tun, als Dich frustriert an den Standrand zu setzen und auf das Gericht über Ninive zu warten. Hast Dich sogar geärgert, dass Gott nachsichtig war mit den Menschen!

 

Meine Quintessenz als Prediger:

– Trau dem Wort etwas zu! Oft sehen wir die Wirkung nicht – okay. Aber noch öfter trauen wir ihm erst gar keine Wirkung zu – und glauben unserer eigenen Predigt nicht!

– Und: Trau deinen Zuhörern etwas zu! Hadere mit der Welt und der Menschheit! Aber rechne damit, dass Gottes Wort durch Dich hindurch die Menschen ändern kann!

 

Im 2Tim habe ich folgendes Wort gefunden, das ich uns gemeinsam mit in unsere nächsten Predigtvorbereitung geben möchte:

„Predige das Wort, steh dazu, sei es zur Zeit oder zur Unzeit.“ [2Tim 4,2]

 

[P. schreibt weiter:]

Gott befohlen, lieber Jona,

Dein Dietmar.

 

[P. tütet den Brief ein. Stille.]