You never walk alone (Konfirmationspredigt 2012)

 

Gestern, Westfalenstadion Dortmund: 15:26 Uhr. Der Schiedsrichter pfeift im Spielertunnel. Jetzt wird es ernst! Draußen singen die Zuschauer: You never walk alone… Eine Hymne.

„Der längste Gang …“ (Aki Schmidt) Nervosität, Anspannung. Anspannung, Aufregung und frohe Erwartung: auch vor der Konfirmation; habe beim Fototermin die Aufregung und die frohe Erwartung gespürt.

 

Der Tag sollte nun kommen: Ihr sollt und wolltet im Fokus stehen, einen wichtigen Weg gehen auf dem Lebensweg – so wie man den Spielertunnel hinunter geht aufs Spielfeld. Zwei Jahre Vorbereitung (Trainingslager?) liegen hinter Euch. Nun seid Ihr so weit … Euch gilt das „You never walk alone“ – das Gefühl, dass wir hinter Euch stehen und euch an diesem Tag begleiten.

 

II.

Bei wichtigen Spielen kommt man mit kleinen Kindern an der Hand auf den Platz. – Heute seid Ihr nicht mehr die kleinen Kinder, begleitet von Euern Eltern – heute seid Ihr die Hauptpersonen. Ihr habt diesen Gang alleine/miteinander als Gruppe gemacht.

 

Ich glaube, dass Eure Eltern an diesem Tag nochmals bewusst oder unbewusst zurückblicken: Wie schnell es ging, dass Ihr aufgewachsen seid. Was alles zwischen Eurer Geburt, vielleicht Eurer Taufe, und dem heutigen Tag liegt und passiert ist. Wie sich auch die Familie verändert hat. Und die Welt, in der wir leben.

 

III.

Wenn du durch einen Sturm gehst, halte den Kopf hoch

und habe keine Angst vor der Dunkelheit.

Am Ende des Sturms gibt es einen goldenen Himmel

und das süße, silberhelle Lied einer Lerche.

 

Geh weiter,

geh weiter, mit Hoffnung in deinem Herzen

und du wirst niemals alleine gehen.

Du wirst nie alleine gehen.

 

So die deutsche Übersetzung.

 

Vielleicht ist es manchmal nicht so deutlich geworden: Wenn wir uns mit dem Aufbau des Gesangbuches beschäftigt haben, mit den Zehn Geboten, dem Kirchenjahr, der Bibel, wenn Ihr ein Praktikum gemacht habt in Gemeindeprojekten und Kreisen in diesen zwei Jahren –

 

eigentlich ging es immer darum, diese Erfahrung zu machen, die Christinnen und Christen auch in unserer Gemeinschaft hier machen und weitergeben: Der Himmel steht offen, so sehr die Stürme des Lebens auch branden. Die Hoffnung siegt über die Gleichgültigkeit. Von Ostern her siegt das Leben sogar über den Tod.

 

Es ging zwei Jahre lang und geht immer wieder um den einfachen Satz: Gott geht mit dir! Du gehst niemals alleine. You never walk alone!

 

Für mich verdichtete sich jedes Mal, wenn wir zu Anfang des Psalm 23 sprachen: Ich geh mit dir, you never walk alone. Der Herr ist mein Hirte.

 

IV.

Im Stadion wird man schnell gepackt von der Atmosphäre, vom Gesang, vom Spiel. Mit viel Begeisterung ist man dabei als Anhänger der einen oder anderen Mannschaft. Schnell lernt man die Lieder, kennt die Spieler schnell auswendig. Man übt sich ein in die Rituale der Fußballtempel.

 

Warum, frage ich mich, ist es mit dem Vertrauen zu Gott manchmal so viel schwerer? Oder machen wir’s hier in der Kirche unnötig kompliziert?

 

In der Dynamik eines Fußballspiels wird der „Glaube“ an die eigene Mannschaft nicht weiter kritisch hinterfragt. Ganz selbstverständlich ist man dabei und identifiziert sich mit seinem Verein.

Das ist auf der einen Seite gut: Denn einmal Fan – immer Fan: Man leidet mit, will nicht mehr hingehen, tut es aber dann doch. Und man verteidigt seinen Verein im Alltag, selbst wenn er über 50 Jahre lang keine Meisterschaft gewonnen hat …

 

So einen Schulterschluss, so eine unhinterfragte Treue wünschte ich mir auch für Kirche (oder besser: für den Glauben an Gott) auch. Dass es ganz tief ein unerschütterliches Gefühl gibt, Gott verbunden zu bleiben. Und der Gemeinschaft, die ihn feiert …

 

Auf der anderen Seite ist christlicher Glaube komplizierter als Fußball: Wir müssen fragen, hinter-fragen, wir müssen neue Antworten finden, wie wir heute verstehen können, dass Gott uns nie alleine lässt.

 

Ich habe diejenigen unter Euch bewundert, die noch nicht getauft am KU teilgenommen haben. Denn Ihr hattet eine Entscheidung zu treffen mit einer noch größeren Tragweite: Möchte ich zur Kirche dazugehören? Bringe ich Gott einen Vertrauensvorschuss entgegen in der Hoffnung, dass er sich in Euerm Leben melden wird?

 

V.

„You never walk alone“ – diese Worte, die dem alttestamentlichen Jesaja zu ähneln, wurde für das Musical „Carousel“ gedichtet, das 1945 am Broadway uraufgeführt wurde. In den 1960er-Jahren wurde es der Legende nach vor jedem Spiel des FC Liverpool gespielt, weil es gut zu einer Mannschaftssportart passt: Du bist nie allein unterwegs, gib nie auf, steh zu deinen Mitspielern! So ziert es den Stadionbogen im alten Liverpooler Stadion (Programmheft!)

 

Den Fans vom FC Liverpool ist dieses Lied in Fleisch und Blut übergegangen. Der Legende nach versagten einmal die Stadionlautsprecher, als das Lied gespielt werden sollte – und die Fans sangen es so. Aus sich heraus!

 

Ich wünsche mir, dass Euch Texte und Lieder, Gedanken und die Menschen, die Ihr in dieser Gemeinde kennen gelernt habt, auch so – vielleicht auch noch unmerklich! – in Fleisch und Blut übergegangen sind.

 

So sehr, dass Ihr Mut fasst, Eure Überzeugungen, Euren Glauben auszudrücken. Ihr werdet, je erwachsener Ihr werdet, immer häufiger Farbe bekennen müssen – und damit meine ich nicht nur einfach, dass ihr eine Meinung vertreten müsst, sondern ihr müsst für Euer Leben Entscheidungen treffen, die mit Euerm inneren Kompass, mit Euren Grundüberzeugungen zu tun haben. Und je mehr Ihr Euer Leben in die eigene Hand nehmt, desto häufiger fallen – um im Bild des Liverpooler Mythos zu bleiben – die Stadionlautsprecher aus und ihr müsst selber singen. Hoffentlich in der Weise, wie es Paulus „vorsingt“ (Lesung):

  • Betreibt keine eitelen Ringkämpfe (auch Paulus kennt das Bild des Sportes), sondern versucht solidarisch miteinander umzugehen! Setzt Eure Kräfte füreinander ein!
  • Einer trage des Anderen Last! – Wie schwer ist es, dieses Lied zu singen, mitten in einer Gesellschaft, die uns laut damit beschallt, dass jeder nur Erfolg haben möchte und muss, koste, was es wolle!
  • Oder – was auch im Glaubensbekenntnis von Euch so exakt formuliert worden ist: Ob wir es schaffen, Menschen zu verzeihen und ihre Würde zu sehen, unabhängig davon, was sie getan haben. Nicht, dass ihr Verhalten bestätigt wird, sondern dass sie eine Chance zur Umkehr erhalten! (Zachäus)

 

VI.

Das Lied „You never walk alone“ – für Fußballfans ist es wie eine Wegzehrung, wie ein Schatz im Reisegepäck, den man immer wieder neu herausholen kann:

Als 1985 bei einer Stadionkatastrophe in Brüssel fast 100 Fans ums Leben kamen, viele davon aus Liverpool, kam das Lied auf die Fanschals aus Solidarität und im Gedenken an die Gestorbenen.

Oder im November 2009 erklang das Lied bei der Trauerfeier für den Nationalmannschafttorwart Robert Enke.

 

Ich bin mir sicher, dass Ihr auch etwas mitnehmt aus unserer KU-Zeit, was es sich lohnt, bei Zeiten wieder herauszuholen. Vom Inhalt ist es, so glaube ich, nichts anderes, als auch „You never walk alone“ ausdrückt:

 

Du bist nie alleine unterwegs.

Wenn wir alle zusammen halten, dann sind wir in der Lage, große Dinge zu vollbringen. Und ich meine nicht nur unsere Gruppe, nicht nur unsere Gemeinde, es wäre ein Motto für unser Land, unsere Welt: Weil dort die Vision von einer gerechten Welt drinsteckt, für die es sich lohnt zu kämpfen.

 

Sei getröstet: Es gibt nichts, was man nicht gemeinsam durchstehen kann! Hab Kraft und mach die Erfahrung, Freunde zu haben.

 

Unser Grund, genauso zu singen, ob mit Lautsprechern oder ohne, liegt in Gott.

 

In Jesus hat Gott „uns das Gefühl gegeben, dass er auf der Erde ist“ (Konfi-Credo). Wir haben in Jesus diese Menschlichkeit erlebt, die wir für uns erhoffen.

 

In der Bibel gibt es so unzählige Beispiele für Menschen, die schlicht darauf vertraut haben: Gott ist bei dir. Und das hat ihr Leben verändert.

 

Wir leben über unseren Horizont hinaus: am Ende des Sturms gibt es einen goldenen Himmel / und das süße, silberhelle Lied einer Lerche. Diese Hoffnung macht uns für unser Leben hoffnungsvoll und frei.

 

Geh weiter, geh weiter, mit Hoffnung in deinem Herzen

und du wirst niemals alleine gehen.

Du wirst nie alleine gehen.

 

Das ist tatsächlich ein persönlicher Wunsch von mir für Euch – jetzt wo die Konfi-Zeit zu Ende geht und ich hoffe, dass wir uns auch hier wiedersehen: Dass Ihr mit Hoffnung Euer Leben lebt! Denn vom Gegenteil – und vielleicht ist nicht Hoffnungslosigkeit, sondern Gleichgültigkeit das Gegenteil! – , davon haben wir genug!

 

VI.

Übrigens: Es ist kein Geheimnis, dass „you never walk alone“ für viele Fußballfans ein Choral ist, der – wohl eher selten mit Gott verbunden – religiös ist.

 

15:26 Uhr – nicht gestern, sondern anderswann einmal. Ich quatsche auf der Tribüne mit meinem Nebenmann, während „You never walk alone“ gespielt wird, über die Lautsprecher.

 

Mein Vordermann dreht sich empört um und sagt mit böser Miene: „Halt mal deine Klappe. Ist gerade Andacht!“

 

„Sorry“, habe ich gestammelt. So als ob ich im Gottesdienst zu laut gequatscht hätte…