Mehr als ein Vielleicht – Zum Buß- und Bettag

Da ledert einer kräftig ab!

Der Seher Johannes, der auf Patmos im Gefängnis sitzt, kündigt das nahe Weltgericht am Ende der Zeit an. Dafür schreibt er Briefe an sieben Gemeinden, einen nach Laodizea in die heutige Türkei. Was er schreibt, hat sich gewaschen – und ich vermute: Auf den ersten Blick wollten wir so etwas nicht ins Stammbuch geschrieben bekommen: Lau seid ihr! Nicht kalt oder warm! Nicht Fisch oder Fleisch…

Predigt – Christuskirche Recklinghausen

Buß- und Bettag 2018, mit Einführung diakonischer Führungskräfte zu Apk 3,14-22

Und anders als sonst gibt es zunächst keine frohe Botschaft, sondern die unverhohlene Drohung: Ich werde dich ausspeien, so als ob Gott sich an uns verschluckt oder das kalte … – na Sie wissen schon – .. bekommt.

 

Seufz. Dabei bemühen wir uns doch nach Kräfte (und manchmal sogar darüber hinaus), unsere Gemeinden zusammenzuhalten. Wir versuchen, unserer Kirche in dieser Region eine klare Stimme zu verleihen. Oder in der Diakonie zeigen wir, wie wertvoll das christliche Menschenbild ist und wie nötig es ist, über das Sichtbare hinaus zu hoffen.

 

Aber am Buß- und Bettag scheint man in protestantische Selbstkasteiung zurückzufallen: Erstens: Klappt alles nicht. Und wenn es klappt, zweitens: Reicht alles nicht …

 

 

II.

Tatsächlich war ich versucht, diesen Feiertag durch die Auswahl der Lieder, der Texte, der Gebete so zu glätten, dass dieser Morgen nicht zu schwer wird, wir eine schöne Einführung haben und die seltenen Momente nutzen, um zeigen, dass Kirche attraktiv sein kann…

 

Aber ist das nicht genau die Falle, die Johannes anspricht, wenn er von der Lauheit spricht?

 

“Ich glaube, noch ein paar Tropfen Heißes, und man könnte sich einigen?!”, sagt der Müller-Lüdenscheid zum Dr. Kloebner. Nicht nur bei Loriots “Männer im Bad” wissen wir um die Annehmlichkeit, wenn heißes und kaltes Wasser gut gemischt sind. Manche erinnern sich womöglich noch an die “spannende” Zeit, wo es in Duschen noch zwei Kräne gab. Da kam es milimetergenau auf die richtige Mischung an…

 

Beim Glauben geht es nicht um eine angenehme Mischung.

 

Sei kein Vielleicht!

 

Und genüge nicht dir selbst! – Die Gemeinde in Laodizea war reich, produzierte wertvolle Tücher und war führend in der Augenheilkunde. Johannes lässt Gott in diese Gedankenwelt hineinsprechen: Kauf Gold von mir! Nimm weiße Kleider von mir – etwa ein Büßergewand. Salbe dich mit meiner Augensalbe, die dir selbst die Augen öffnet!

 

In welche unserer Gedankenwelten spräche Gott heute so? Nicht, dass wir uns selbst kasteiten, sondern mal merkten, wo wir uns bequem eingerichtet haben und wo wir wirklich den Mut bekämen, uns zu veränderten, deutlicher und klarer zu werden?

 

Ich finde es schon beachtlich, was die EKD-Synode in der letzten Woche zu den Missbrauchsfällen sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie gesagt und beschlossen hat. Und wie sie von eigener Schuld, Buße und Klarheit gesprochen hat. Das war ein Moment gegen die Lauheit, gegen ein Leben im Vielleicht, verbunden mit dem Mut, Fehler deutlich zu benennen und anders handeln zu wollen.

 

 

III.

Liebe Gemeinde,

 

beim Mut-Aufbringen, sich eigene Fehler einzugestehen und zukünftig anders zu handeln – da stehen wir nicht alleine da. Gott bringt sich in Erinnerung, dass er vergebend und verzeihend auf uns zukommt.

 

Bei Johannes heißt es: Gott steht vor der Tür. Er klopft selber an. – Er kommt also an unsere Orte, pointiert gesagt: an alle unsere Orte von Unvollkommenheit und Schuld.

 

“Welche ich liebhabe, die weise ich zurecht und züchtige ich” (Luther 2017) – oder anders übersetzt, um die Assoziationen an menschliche schwarze Pädagogik zu bannen: “Welche ich liebhabe, denen halte ich den Spiegel vor und die erziehe ich”.

 

Welche ich liebhabe – das meint sicher keine spezifische Gruppe in Abgrenzung zu einer anderen, die Gott nicht so liebhabt. Sondern es meint das Maß der Liebe: Diejenigen, die ich lieb habe, die habe ich so sehr lieb, dass ehrlich mit ihnen bin: Ich halte ihnen den Spiegel vor, ich tadele und “erziehe” sie.

 

Dieser Gott bemüht sich neu um uns. Nicht im Vielleicht oder im Womöglich, sondern sehr ernsthaft.

 

Er klopft bei uns an.

Er kehrt bei uns ein.

 

Dieses Einkehren hat das Bild der Tür in sich.

“O Heil’ger Geist kehr bei uns ein”, erbitten wir für Mitarbeitende, die wir in ihren Dienst einführen.

Jesus, der Christus, der sich an anderer Stelle selber als Tür bezeichnet, kommt durch die Tür, um mit Menschen das Abendmahl zu feiern. Zu Zachäus, einem augenscheinlichen “Sünder” seiner Zeit, sagt er: Komm vom Baum herunter, “denn ich muss heute in dein Haus einkehren”. Diese Zusage geht voraus. Und als Jesus durch seine Tür gekommen ist, kann Zachäus aus freien Stücken betrogenes Geld ums Mehrfache zurückzahlen.

 

IV.

Darum ein Buß- und Bettag, der immer eine Zumutung bleibt – und so singen, beten und hören wir es hier auch.

 

Darum auch die Einführung neuer diakonischer Leitungskräfte an diesem Tag: Es kann Ihnen nichts Besseres zugesprochen werden als dass Gott an ihren Orten vor der Tür steht, gerade dann, wenn es darum geht, in vielen Einzelentscheidungen eines Tages, in der Führung Ihrer Mitarbeitenden, in der immer neuen “Eroberung” unseres diakonischen Auftrags kein Vielleicht zu sein!

 

Darum überhaupt Buß- und Bettag, der als gesetzlicher Feiertag ja für die Pflegeversicherung geräumt wurde. Dieser Tag würde fehlen, wenn wir uns nicht träfen. Denn unsere Welt ist nicht arm an Stimmen, die ja eigentlich polarisieren und vermeintliche Klarheit propagieren, die genau vorgeben, was warm und kalt ist und eine differenzierte Sicht auf die Welt verpönen. Diese Klarheit kommt aber meistens ohne jegliche Bußfertigkeit aus, ohne den selbstkritischen Blick auf die eigene Irrtumsfähigkeit und Begrenztheit.

 

Darum Buß- und Bettag: dass mehr Widerhaken gesetzt werden, Sperriges ans Tageslicht tritt. Wir anhalten. “Nach Möglichkeit jetzt wenden”. Dass wir das Klopfen vernehmen des Liebende vor der Tür. Es ist schon fast Advent: Macht hoch die Tür…