Buße und Träumen (Buß- und Bettag 2008 zu Jes 65,17-24)

Nie mehr hört man dort lautes Weinen. Es gibt es keinen Säugling mehr, der nur wenige Tage lebt, und keinen Greis, der nicht das volle Alter erreicht. Menschen bauen Häuser und bleiben, weil sie das Leben lohnt. Sie pflanzen – und ernten, was sie gepflanzt haben, kein anderer!

Predigt – Buß- und Bettag #Jes 65, 17.19b-24

Altena Lutherkirche

 

So dieser biblische Traum!  Wo kommt dieser Traum her?

 

Der biblische Traum kommt aus einer Realität, die ganz anders ist: Man lebte damals nicht hundert Jahre, sondern allenfalls 40 Jahre. Viele Kinder starben früh. Israel war ins Exil nach Babylon geführt: Man baute keine Häuser, weil man sich nicht sicher sein konnte von Krieg und Vertreibung, Hungersnot, Sklaverei. Man bepflanzte keine Weinberge, weil man nicht sicher sein konnte, ob nicht die Unterdrücker im fremden Lande ernten würden. – und man selber leer ausgehen würde.

 

Es bräuchte schon eine ganz neue Erde unter einem ganz neuen Himmel! Es müsste sich einiges drehen, damit die Welt so würde, wie Gott sie sich wünscht.

 

Ein neuer Himmel, eine neue Erde: Die Propheten verwenden häufiger diesen Satz. Sie hoffen gegen alle Realität, dass Himmel und Erde nicht so bleiben müssen wie sie sind.

 

Aber sie stellen sich den neuen Himmel und die neue Erde nicht als Jenseits vor, nicht auf Wolke Sieben. Neu strahlt Gottes Welt schon auf unserer Welt:

  • Friede herrscht: innerer Friede, frei von Gewalt und Verbrechen.
  • Sozialer Friede: frei von Not und Entwürdigung.
  • Äußerer Friede: frei von Krieg und Terror.
  • Friede mit der Natur: Löwe und Lamm weiden miteinander.

 

 

Eine Vision – oder eher eine Utopie, die unerfüllbar bleibt?

 

Helmut Schmidt sagte als Bundeskanzler, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen! – Das umschrieb tatsächlich das Lebensgefühl einer technischen Welt in den 80er- und 90er-Jahre.

 

Aber heute?

Gerade in der Zeit, wo uns die Klimakatastrophe vor Augen steht, leben wir wieder in einer Zeit der Träume:

 

„USA stimmt Klima-Protokoll zu!“

„US-Außenministerin Rice entschuldigt sich für die Lügen über die angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak!“

„Guantanamo wird aufgelöst!“

 

Das sind ganz konkrete Träume einer amerikanischen Aktivistengruppe. In der letzten Woche schreckten sie die Mächtigen ihres Landes hoch, weil sie diese Träume als Zeitungsschlagzeilen verteilten: in einer täuschend echt aussehende Ausgabe der New York Times. Als ob es schon Realität wäre!

 

Erst bei Datum, 4. Juli 2009, fiel die Fälschung auf. Hier wird sich eine Zukunft ausgemalt! – Und irgendwie ist es doch schon Realität!

 

Die Welt gewinnt wieder den Mut zu träumen. Jedenfalls verbindet sich das mit dem neuen amerikanischen Präsidenten Barak Obama. Sein Leitwort „Change“ – Wandel -, ist ja letztlich nur der weltliche Begriff zu „Buße“, zu „Umkehr“, wie wir es heute bedenken. Und unabhängig, dass dieser eine Mensch die vielen Erwartungen kaum erfüllen kann, so hat er es bisher geschafft, dass wieder über die zu sehende Realität hinaus gedacht, geträumt wird.

 

Träume sind gemeinhin mehr als Schäume.

 

Als wir diesen Gottesdienst vorbereiteten, fielen uns viele kleine Träumereien ein, die wir genannt haben und uns wichtig geworden sind:

– alte Menschen, die selbst bestimmt ihr Leben fristen können

– Kinder, die – wo in diesem Lande ja nicht die Gefahr besteht, dass sie vor Hunger oder Krankheit früh sterben – alle den gleichen Zugang zu guter Bildung haben.

– eine Stadt, die lebenswert bleibt, auch wenn weniger Menschen in ihr wohnen, weil Nachbarschaften existieren.

– schließlich: der Traum vom Zusammenleben der verschiedenen Generationen: dass die arbeitenden Generationen sich Zeit nehmen – und dass die älteren Generationen wahrgenommen werden, die ja Zeit haben!

 

Buß- und Bettag hat diesem Text aus dem Jesaja-Buch nichts mit „in Sack und Asche-Gehen“ zu tun. Hat nichts Niederdrückendes, Schweres. Sondern etwas Erleichterndes.

 

Buße – im Gedankengang von Jesaja – heißt schlicht:

  • den Blick wenden: von den oft erdrückenden Realitäten hin zu den Träumen, wie das Leben sonst sein könnte,
  • den Blick wenden von sich selbst hin zu Gott, der einen neuen Himmel und eine neue Erde verspricht. Nicht nur eine neue Erde – nein, auch der Himmel, Gott selber, will sich verändern, will ständig seine Verheißungen erneuern und uns Menschen einen neuen Anfang anbieten.
  • vom bangen Blick zurück nach vorne in die Zukunft Gottes, die er bereithält.
  • Eigene Schuld eingestehen: Wir geben uns viel zu häufig wunschlos glücklich, weil wir schon alles haben (100 Jahre werden wir, wir leben in unseren eigenen Häusern, haben eine sichere Existenz und 61 Jahre Frieden in Europa …).

 

Beim Volk Israel dauerte es drei Generationen, bis man aus dem Exil ins Gelobte Land zurückkehren konnte. Der Traum wurde wahr, aber die Träumenden erlebten nicht, wie er sich erfüllte.

Aber durch ihre Träume ebneten sie dem Traum die Bahn, dass er Realität werden konnte für ihre Nachfahren.

 

Vor 40 Jahren hielt der schwarze Prediger Martin Luther King seine berühmte Rede, „I have a dream!“ – Ich habe einen Traum:

Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird. Ich habe einen Traum heute…
Ich habe einen Traum, dass eines Tages in Alabama […]kleine schwarze Jungen und Mädchen die Hände schütteln mit kleinen weißen Jungen und Mädchen als Brüdern und Schwestern. Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt wird. Die rauhen Orte werden geglättet und die unebenen Orte begradigt werden. Und die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar werden, und alles Fleisch wird es sehen.

 

Einiges hat sich davon erfüllt. Es hat Zeit gekostet und Opfer gebracht. Aber Menschen haben an diesen Traum einer besseren Welt geglaubt und ihn gelebt – und weitergeben. Wie Israel im Exil an seine Nachkommen.

 

Ich möchte uns ermutigen, Buße zu tun: nämlich dass wir uns mit den Realitäten nicht abfinden, sondern zu träumen beginnen; dass wir uns an diesen Gott halten, der einen neuen Himmel und eine neue Erde verspricht. Alles wird neu. Das macht er!

Aber indem Gott dies verspricht, ist uns die Richtung gewiesen. Ein andere Richtung, als die wir gemeinhin gehen: Mehr Mut zum Träumen. Mehr Zutrauen, dass ein neuer Himmel und eine neue Erde bedeutet: Schon der alte Himmel, die alte Erde kann sich zum Guten verändern lassen.

 

Amen.

 

Wir singen das Lied „Halte deine Träume fest“: Es ist auch ein Bußlied in dem Sinne, als dass an das Festhalten von Träumen appelliert wird: N.N. hat es als Sozialarbeiter in einem Jugendheim gedichtet, nachdem ein Jugendlicher Selbstmord begangen hatte. Der Jugendliche hatte seine Träume verloren – und sein Erzieher auch. Das Lied wurde schließlich trotzig auf der Beerdigung gesungen: als Vergewisserung, dass über alle Realität hinweg die großen Träume und Ideale nicht aufgegeben werden sollen!