Was wir getrost feiern können (Reformationsfest 2008 zu Phil 2,12-13)

Deutschland ist seit 1990 säkularer und protestantischer zugleich. Die “neuen Bundesländer” haben nach der Wende den Reformationstag als Feiertag eingeführt.

Reformationstag 2008

Phil 2,12-13, Lutherkirche Altena

 

In Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt mag man das noch als historische Reminiszenz ansehen, hier liegen die Stätten von Luthers Leben und Wirken, Erinnerungsorte, touristisch nutzbar. Aber Berlin-Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern? Vielleicht erinnerte man sich die Rolle evangelischer Pfarrer für das Zustandekommen der “Wende”. Vielleicht empfand man aber – trotz aller Entkirchlichung in über vierzig Jahren SED-Herrschaft – den evangelischen Glauben als wesentliches Stück der eigenen historischen Identität.

 

Wie auch immer: Im Westen Deutschlands ist der 31. Oktober, der Tag von Luthers Thesenanschlag, kein Feiertag, obwohl mit dem Thesenanschlag etwas ins Rollen kam, was das Gesicht der Welt veränderte – auch nicht nur zum Besten: Es dauerte nicht lange, da war Deutschland, ja halb Europa im Glauben gespalten und es gab Krieg.

 

 

2.

Bildhaft haben wir die einschlägige Filmszenen vor Augen: Wie Luther in seiner Kutte, mit dem großen Hammer bewaffnet, zur Tür der Wittenberger Schlosskirche schreitet, um dort das Blatt mit den 95 Thesen anzuschlagen, machtvoll, entschlossen, seiner Sache gewiss.

 

Über solche Bilder hinaus – woran erinnern wir uns aus diesem Anlass? Was feiern wir am Reformationstag? Kann man von “Feiern” überhaupt sprechen? Ein Tag kämpferischer Selbstdarstellung gegenüber dem Katholizismus ist das Reformationsfest heute kaum noch.

Aber in den letzten Jahren ist es schon eher ein Tag zur Selbstvergewisserung geworden: Was heißt es, evangelisch zu sein? Was macht das Besondere der eigenen Konfession (lutherisch, reformiert, uniert) aus, die aus der Reformation erwachsen ist? Warum hat es auch heute Sinn, an dieser besonderen Prägung festzuhalten?

 

Einmal im Jahr dürfen wir uns das schon fragen. Die meisten unter uns hat ja keiner gefragt, ob sie evangelisch werden wollten, wir sind in unsere Kirche hineingeboren, hineingetauft, und – hoffentlich – hineingewachsen. Da ist uns vieles selbstverständlich und manches allzu selbstverständlich. Was heißt es aber nun, ein evangelischer Christ zu sein? Bei der Beantwortung dieser Frage kann uns der Predigttext zum Reformationsfest anleiten: (abgedruckt)

 

12 Also, meine Lieben, schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. 13 Denn Gott ist’s, der in euch beides wirkt, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.

 

3.

Der Apostel Paulus macht oft lange Sätze, hier redet er wie der Sauerländer Franz Müntefering: Schaffet, dass Ihr selig werdet …: Anpacken, die Ärmel krempeln sich hoch. Los, pack an.

Und wir müssen uns nicht verstecken: Evangelische Christinnen und Christen übernehmen Verantwortung für die Welt. Sie freuen sich, wenn im Gemeindhaus richtig was los ist. Sie packen zu – wie zuletzt beim Gemeindefest. Sie sind in den Stadtteilen und der Nachbarschaft unterwegs – unabhängig vom Dienst des Pfarrers. Sie treffen sich in Gruppen und Kreisen.

 

Ja, schaffet! Aber der Zweck überrascht gerade am Reformationstag: schaffet, dass ihr selig werdet!? Hat Luther uns nicht das Gegenteil gelehrt? Hört auf, euch euer Heil selber zu schaffen. Verlasst euch auf Christus, auf sein Wort, seine Gnade, auf euren Glauben. Auf Gottes Barmherzigkeit, die uns frei macht und sicher! Wäre das nicht der bessere evangelische Leitspruch für einen Reformationsgottesdienst: Lasst los, hört auf, alles in die eigenen Hände nehmen zu wollen!?? Gott wirkt in euch das Wollen und das Vollbringen. Also: Lasst los, damit ihr selig werdet!

 


Luthers Zeit war eine Zeit der großen Angst: vor Seuchen und Krieg, vor Armut. Die Kirche spielte mit der Angst der Menschen: Tut fromme Werke! Spendet, gebt Geld in den Ablasstopf! Dann könnt ihr sicher sein, dass ihr nach den Leiden dieser Welt in den Himmel kommt. Wenn ihr genügend für Gott – und das heißt für die Kirche tut, wenn ihr damit Gott gnädig stimmt, dann kann euch egal sein, was hier passiert, dann habt ihren einen Platz im Himmel.

Luther ist an diesen Drohungen und diesem Anspruch fast zerbrochen. So sehr er sich auch anstrengte, so ernst er seine Gelübde nahm, immer entdeckte er, wo er noch nicht richtig handelte. Wo er noch hätte helfen können. Dass er noch mehr hätte beten können.

Es ist zu fragen, in oft wir heute aus Angst „schaffen“: ganz buchstäblich, um den Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Um uns Freundschaften und Einflüsse zu erkämpfen. Wir schaffen und schaffen, um fit, gesund und schlank zu bleiben, aus Angst, außerdem irgendeiner Norm zu landen. Diese Ängste lähmen entweder oder führen zu Aktionismus!

 

Paulus kann schreiben: Bemüht Euch um Euer Wohlergehen und um Euern Nächsten. Schafft mit Ernst, auch mit Ehrfurcht und mit Respekt gegenüber dem lebendigen Gott. Aber tut’s nicht, um Euch Eure Erlösung zu verdienen, sondern tut’s aus lauter Dankbarkeit, weil Gott ja eben nicht Euer Heil von Euerm Schaffen abhängig macht:

 

Das war doch die Entdeckung der Reformation: Gott hat uns in seinem Sohn schon alles geschenkt, sodass es für uns dabei nichts zu verdienen oder hinzuzuverdienen gibt.

 

Sicher: Der Glaube schenkt keine Sicherheit, aber Gewissheit wie in einer Liebesbeziehung. Gott geht mit uns nicht um wie mit leblosen Steinen oder Klötzen, so hat es der Genfer Reformator Calvin einmal treffend ausgedrückt. Rechtfertigung durch den Glauben, das ist nicht etwas, was wir auf auf der Habenseite eines Kontos ein für allemal eintragen können. Gottesbeziehung hat nichts mit Haben und Festhalten, sondern mit Erfahren und Bewähren zu tun.

 

Schafft nicht aus Angst – sondern gegen die Angst!

 

– Schaffen gegen die Angst unterscheidet sich vom Weiterwursteln. Denn es schaut auf Jesus und seinen Weg. Wo entspreche ich diesem Weg? Was würde Jesus zu meinem Weg sagen? Was würde er an meiner Stelle tun? Wie würde er mir Hoffnung geben, wie würde er mir Mut machen, andere zu trösten und zu stärken?

– Bei Schaffen gegen die Angst geht es nicht darum, dass ich gut dastehe. Nicht vor Gott und nicht vor den anderen. Es geschieht um Gottes und der Nächsten willen. Es geht um unser Heil, nicht nur um meines. Der ganzen Gemeinde, dem Leib Christi gilt unser Schaffen.

– Schaffen gegen die Angst ist Arbeit, harte Arbeit; vielleicht hat der Protestantismus deshalb bei manchen zu Recht den Ruf anstrengend zu sein. Gott will, dass wir mit Jesus aufbrechen in Gottes neue Welt, in der Menschen friedlich, gerecht und frei mit sich, mit anderen, mit der Schöpfung leben. Dazu braucht es Mut, dazu braucht es Hoffnung und Kraft. Das geht nicht von selbst!

– Schaffen gegen die Angst ist heute oft vor allem ein Lassen. Ein: Gott zu Wort kommen lassen. Ein: Jesus den Weg vorgeben lassen. Sei es im Gebet, sei es im Singen: Paulus hat der Gemeinde in Philippi mit diesem Brief ein Lied geschickt, das Grundlied des Glaubens (Phil 2). Es erzählt von Jesus, der gehorsam war, so wie es die Philipper auch sind – und doch noch viel mehr. Es erzählt, wie Jesus den Weg des Lebens gegangen ist, hinab zu uns, unterwegs mit den Armen und Schwachen, wie er ermordet wurde von denen, die er gestört hat – und wie Gott ihn auferweckt und zum Herrscher unserer Welt gemacht hat.

 

Eben dies ist es, was wir am Reformationstag feiern als das unterscheidende Merkmal evangelisch-christlicher Identität: Das Wissen darum, dass wir allezeit angewiesen und verwiesen sind auf Gottes Gnade. Gott schafft in uns schafft, das Wollen und das Vollbringen. Und wir können darauf bauen, dass uns dies befreit zum eigenen Schaffen – nicht aus Angst, sondern gegen die Angst! Amen.