Ansprache zu “Heimat” – 10 Jahre Theodor-Fliedner-Haus

Haus, Heim, Domizil, Residenz, Neu-Bau, “eine tolle Hütte” … – es gibt viele Begriffe für das, was wir Heimat oder ein “Zuhause” nennen. In der Altenheim-Landschaft gibt es viele Begriffe, auch im Wandel der Zeiten: Hier befinden wir uns in im Theodor-Fliedner-Haus. Das alten Gebäude an der Nimrothstraße zierte noch der Schriftzug “Theodor-Fliedner-Heim”…

Wo wir uns zu Hause fühlen – das hat immer auch mit Gebäuden zu tun. Wir Menschen unterscheiden uns da von den “Lilien auf dem Felder”, von denen wir gerade hörten.

Wenn Bewohnerinnen und Bewohner seit 10 Jahren im Theodor-Fliedner-Haus ihr zu Hause finden – dann hat das auch mit dem Gebäude zu tun. Es ist unser neustes und modernstes Altenheim. Es ist hell und transparent. Es passt genau an diesen Ort.

Menschen, die alles ganz unterschiedliche Heimatorte haben, finden in diesem Haus ein neues zu Hause – so hoffen wir immer und so erfahren wir es auch.

Wir unterscheiden ja bewusst die Wörter “zu Hause” – dort, wo wir jetzt wohnen – und “Heimat” – dort, wo wir herkommen. Heimat kann kein Heimatminister definieren. Heimat ist das, was mein Innerstes prägt: Orte der Kindheit, eingebrannte Erlebnisse im Laufe eines langen Lebens. Auch: die Gelassenheit, im Alter eine Lebensbilanz ziehen zu können und es für sich gut sein lassen können.

Insofern singen wir heute bewusst Erntedanklieder. Das Leben in diesem Haus ist immer wieder davon geprägt, dass Kräfte schwinden, man Abschied nimmt und sich mit dem Sterben auseinandersetzt. Aber (gar nicht davon abgekoppelt, sondern genau darauf bezogen) dabei geht es auch um die Ernte des Lebens. Ernte ist im biblischen Horizont immer mit Segen und mit der lebenslangen Treue Gottes verbunden.

“Heimat” kann der Ackerboden für das sein, was im Leben ausgesät und geerntet wurde.

II.
Das ist aber nur der halbe Gedanke.

Der deutsche Philosoph Ernst Bloch hat einmal gesagt: Heimat ist der Ort, an dem wir noch nie waren.

Er orientiert Heimat durch und durch nach vorne, in die Zukunft. Hin auf Hoffnung. Heimat ragt über sich selbst und die eigene Person hinaus.

Ich finde, dass wir heute den Begriff “Heimat” viel zu sehr aus der Vergangenheit heraus betrachten. Es wird suggeriert, man könne “Heimat” mit einer Herkunft oder einer leitenden Kultur festlegen. Dabei müsste man nur mal schauen, welch unterschiedliche Heimaten die Menschen in diesem Haus haben, selbst wenn sie einen deutschem Pass haben…

Für Ernst Bloch ist Heimat der Ort, an dem wir noch nie waren – also ein Sehnsuchtsort, ein Ort für Utopien und Hoffnungen. An dem man sich zukünftig “beheimatet” niederlassen kann.

Das hat fachliche und gesellschaftspolitische Sprengkraft: Was benötigen wir, dass Menschen gut alt sein können? Wie machen wir Pflege attraktiv? Wie können wir die Lebenserfahrungen alter Menschen als Schatz für eine alternde Gesellschaft sehen?

Heimat an einem Ort suchen, an dem wir noch nie waren – das wäre vom Ansatz was ganz anderes, etwas Weites und Neues und weit mehr als ein aktionistisches politisches Sofortprogramm! Es wäre der Versuch, auch unsere eigenen Hoffnungen als Jüngere für unser Alter so umzusetzen, dass wir uns auf eine gute Heimat im Alter hinbewegten …

Wie wollen wir alt werden? Was beheimatet uns, unabhängig vom späteren Zuhause? Die Frage bleibt – ganz im Sinne Blochs – offenzuhalten, aber mit Sehnsucht!

III.
Bei Gott ist diese Sehnsucht mit einem Versprechen verbunden: Er denkt für uns Menschen weiter als in steinernden Häusern.

Denn wir wissen: Wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.

Nun wollen wir kein Haus abreißen, sondern noch ein weiteres bauen… Der Vers ist für mich (heute) auch kein Beerdigungswort, sondern ein Geburtstagsgruß fürs Theodor-Fliedner-Haus.

Denn das Paulus-Wort ist ein paulinisch gefärbter Bloch-Gedanke: Auch Paulus denkt Heimat nach vorne in die Zukunft hinein. Aber noch viel weiter: Der Gedanken vom Haus, das nicht von unseren Händen gemacht, ist in Raum und Zeit entgrenzt: Es geht um ein Haus im Himmel. Auf ewig. Von Gott geschenkt.

Es ist uns eine Zeit und ein Ort versprochen, an dem sich Sehnsucht und Hoffnung durch Gott selbst erfüllen. Konkret male ich mir aus: Es wird keine Sorge mehr sein, ob ich in einem Altenheim noch eine neue Heimat finde. Oder ob ich dem Bewohner ein wirklich gutes Zuhause verschaffen kann. Keine Angst mehr, ob ich gesehen werde mit meiner Langsamkeit und Gebrechlichkeit. Oder ob ich die Lebensgeschichte des Bewohners wirklich höre.

Diese Sorgen und alles Bemühen wird an ein Ende kommen – ungeheuerlich! Aber eben so ungeheuerlich, dass wir im “irdischen Haus” die Kraft und Zuversicht haben, aufmerksam in diese Richtung zu gehen – bei allen Fehlbarkeiten und Unfertigkeiten …

Theodor Fliedner, Namensgeber dieses Zuhauses, war ein frommer Pastor und ein unternehmerischer Diakonie-Gründer. Im 19. Jhd. baute er mit immenser Kraft in Kaiserswerth das Krankenhauswesen auf und erfand den Beruf der Diakonisse.

Die Zukunftshoffnung des Glaubens klingt bei ihm ungemein gegenwartsbezogen. Er sagt einmal: „Ohne Christus haben wir im Leben keinen Frieden, im Tod keinen Trost, in unserer Sünde keine Vergebung.“ In Christus öffnet sich Frieden, Trost, Vergebung – für jeden Tag neu – und darüber hinaus.

IV.
Auch wenn das TFH aus guten Gründen kein “Heim” mehr ist und die “Heimat” der Bewohner oft woanders liegt: Für mich kann es – im wörtlichen Sinne – eine “Bleibe” sein, wo die Schätze des Lebens “bleiben”. Und ein irdisches Haus, in dem Humanität “beheimatet” ist – Humanität aus Glaube, Hoffnung und Liebe.