Gast am Tisch des Herrn (Gründonnerstag 2008 zu Hebr 2,10-18)

Wer ist eigentlich zum Abendmahl zugelassen? – Kinder? – Oft heißt es, sie sollen erst verstehen, was dort passiert, bevor sie eingeladen sind. Aber in der Liturgie sprechen wir Erwachsenen dann „Geheimnis des Glaubens“ – und rühmen uns, es selbst nicht verstehen zu können!

Predigt Gründonnerstag Luther-Kirche Altena

Jesus, der Bruder im Abendmahl (Hebr 2,10-18)

 

– der von aller Schuld gereinigte Sünder? Früher ging man nüchtern zum Abendmahl (bricht das Fasten); ein langes Sündenbekenntnis vor dem Mahl war erforderlich – aber: Ist nicht das Mahl an sich Sündenvergebung und Reue? Sollte nicht gerade der, der sich schuldig fühlt, kommen, anstatt ausgeschlossen zu werden?

– Getaufte (Kirchenordnung!)! – Jahrhunderte lang war die Taufe am Ende des Lebens. Nicht nur Ostdeutschland stellt sich die Frage: Sind wir nicht froh über jeden, der in die Gottesdienste kommt und vorsichtig eine Gottesbeziehung aufbaut?

– „nur Katholische“ (katholische Kirche)? Erst sollen die Kirchen wieder eine Kirche werden, bevor Abendmahlsgemeinschaft möglich ist. Aber: Drückt sich nicht genau am Tisch des Herrn bruchstückhaft die bereits vorhandene Einheit der Kirche aus?

– vor 75 Jahren: „Keine getauften Juden/Judenchristen“! Anfang April: Boykott jüdischer Läden, Verabschiedung des Arierparagraphen – und teilweise Übernahme in der Kirche. Nicht mehr die Taufe, sondern die Rasse soll über die Kirchenmitgliedschaft/die Abendmahlszulassung entscheiden?

 

Wer ist zum Abendmahl zugelassen? – Der Gründonnerstag gibt schon allein mit seinem Namen eine schlichte Antwort: Grün-Donnerstag hat nichts mit der Farbe „grün“ zu tun, sondern mit dem mittelhochdeutschen Wort „gronan“. Es bedeutet soviel wie „greinen“, also weinen, traurig sein, schluchzen.

 

Um den Abendmahlstisch herum sitzen oder stehen die Weinenden, die Traurigen, die Schluchzenden.

 

Wie lapidar erzählt das MtEv vom letzten Abendmahl Jesu (Mt 25,17-30). Dramatisch ist aber die Situation: Judas hat Jesus verraten; das Ende, der Tod naht. Jesus ahnt das. Und trotzdem – oder: gerade deshalb? – versammelt er nochmals die zwölf Jünger um den Tisch. Sie essen und trinken zusammen, wie sie es so häufig auf dem Weg von Galilaä nach Jerusalem gemacht haben.

 

Doch einiges ist anders: Es hocken doch ehre die Greinenden zusammen. Am Vorabend des Passahfestes, wo sich das Volk Israel eigentlich vorbereitet auf das Freudenfest vom Auszug aus Ägypten, da sind sie alle in höchster Sorge: die Fischer, die ihren Beruf, ihre Familie, ihr bisheriges Leben aufgaben, um ihm nachzufolgen – und nun vor dem Nichts stehen: Was sollen sie ohne Jesus tun? Wird ihnen das gleiche Schicksal drohen? Bedeutete Nachfolge tatsächlich und buchstäblich, sein Kreuz auf sich zu nehmen und Jesus bis in die Tod zu folgen? – Was wird Judas in diesem Moment denken, der ihn verraten hat? Wie muldig ist es dem Petrus, der ihn wenig später verleugnet?

 

Die Abendmahlsrunde: ein Rund von Besorgten, Mühseligen – keine fein Hergemachten und Herausgeschälten. Wohl auch nicht eine feierliche Umgebung.

 

 

Was ändert und bewirkt diese Erkenntnis – dass das Abendmahl eine Fest der Greinenden sein darf? Was sagt es über Jesus, den Christus? Was sagt es über uns?

 

  1. Wir müssen nicht stark sein, wenn wir zum Abendmahl kommen, sondern bereit sein, uns stärken zu lassen.

Denn Jesus hat gerade diejenigen zu Tisch gebeten, die dem Weinen und Schluchzen nahe waren: die Zöllner. Die Ausgestoßenen. Er hat sie zurück in die Mitte der Gesellschaft und des Lebens geholt.

Von dieser Beziehung lebt das Abendmahl noch heute: von der helfenden, ja rettenden Liebesbeziehung, die Jesus zu seinen Lebzeiten vorgelebt hat.

Heute ist Jesus, der Christus, Geber und Gabe unseres Abendmahls. Das Abendmahl kann nie eine Sache sein, kein heiliges Ding, und entscheidend ist nicht irgendeine Substanz, sondern: eine (in eine Gleichnishandlung gefasste) Liebeserklärung Gottes, die an Jesus, seinen Sohn erinnert und ihn gegenwärtig sein lässt.

Auch heute weht bei unserem Mahl der Geist der bedingungslosen Zuwendung und Jesu Liebe zu den Verlorenen. Da steht nicht nur das Positive im Raum, sondern gerade das, was uns belastet. Nicht unsere vermeintliche Stärke ist Voraussetzung, sondern die geöffnete Hand, zu empfangen.

Am Ende verliert Jesus selbst seine Stärke und wird als Weinender beschrieben: klagend und zagend im Garten Gethsemane, gottverlassen am Kreuz. Ihm ist nichts erspart geblieben. Er brauchte wohl selber die Gemeinschaft mit seinen Jüngern. Gerade deshalb kann die Vergegenwärtigung seines Leiden zum Trost, zum Antrieb und zur Energie werden, den eigenen Weg durchzustehen.

 

  1. Das Abendmahl bleibt die Urhandlung einer diakonischen Gemeinde. Das Abendmahl stößt uns auf unsere Lebensmöglichkeiten: Elementar: Essen und Trinken, körperliche Nahrung. Darin: heilende Gemeinschaft, auch: gemeinsame Schicksalsgemeinschaft, die den anderen stützt und trägt.

In der Welt der Ellenbogen, der Aktienkurse, der Schnelllebigkeit – da ist das Abendmahl ein Moment voller Achtsamkeit, ein Moment des Für-einander-Veranwortlich-Werden und -Bleiben. Das Abendmahl ist auch Protest: Denn eigentlich zeigt es ja, dass das Zusammenleben auch anders geht: solidarisch, behutsam, achtsam, friedlich.

 

  1. Von Ostern her ist dieses letzte Abendmahl Trost und das Aufrichten der Greinenden.

Im Nachhinein hat dieses Abendmahl am Gründonnerstag doch seine Parallele zum freudigen jüdischen Passah. Israel feiert die Befreiung aus Ägypten. Wir feiern mit Blick auf die Auferstehung beim Abendmahl die kommende Welt Gottes. Dieses Reich Gottes bricht sich schon mitten unter uns ihre Bahn – beispielsweise im Abendmahl: uneingeschränkte Gemeinschaft mit Gott und untereinander; das Ende von Habgier und Konkurrenz; die Bedeutungslosigkeit gesellschaftlicher Ungleichheit von Armen und Reichen, Freien und ihre Herren, die alle an einem Tische friedlich speisen und genug haben. Und die weit reichenste Sehnsucht schließlich: dass Gott abwischen alle Tränen.

 

 

III.

Liebe Gemeinde,

wer ist zum Abendmahl zugelassen? – Es geht im theologischen Sinne nicht um Bedingungen, die man vorher zu erfüllen hätte, um an den Tisch des Herrn zu treten. Es geht allein um diese Sehnsucht nach einer Welt, wie Gott sie verspricht. Um einen Vorgeschmack auf das Reich Gottes im wörtlichen Sinne.

Es geht um die Frage, ob ich Gott traue, dass er mir helfen kann, wenn ich aus der Tiefe zu ihm rufe. Ob ich ich bereit, von mir wegzublicken und mich von der Mahl-Gemeinschaft tragen zu lassen. Das gilt besonders, wenn ich zögerlich und zweifelnd komme, selbst wenn ich vielleicht zunächst einmal genauso wieder gehe. Vielleicht bin ich sogar bereit, zum Tisch zu kommen, wenn ich Schuld spüre, einen Neuanfang wagen möchte, der aber über meine Kräfte hinausgeht.

 

Es sind nicht meine Worte als Pastor, nicht die Worte der Kirche, sondern die des Auferstandenen selbst, die uns einladen: Nehmt und esst! Nehmt und trinkt!

 

Amen.