Kirche ist mehr als Legoland (Pfingsten 2002 zu Röm 8,1-14)

Pfingsten: Der erste Baustein der Kirche. Der Geburtstag der Kirche. Doch: Kirche bauen, das ist nicht ganz so einfach: Im bayrischen Günzburg ist am Donnerstag das deutsche Legoland eröffnet worden. Natürlich gibt’s auch Kirchen zu bewundern, detailgetreu nachgebaut aus den kleinen Legosteinen.

Den eifrigen Modellbauern sind die Kirchen am schwersten gefallen. Eine Kirche bauen ist nicht so einfach: 1,4 Mill. Steine verbauten sie für den Berliner Dom. Über 1.800 Stunden wurden investiert. Die anderen Gebäude rundum, das Brandenburger Tor oder der Reichtag, machte den Lego-Designern weniger Schwierigkeiten:

„Kirchen haben viel mehr architektonische Besonderheiten und Feinheiten“, stöhnten sie. Teilweise konnten die Details nicht mit den handelsüblichen Legosteinen nachgebaut werden.

Kirche bauen ist nicht so einfach. Zum Glück müssen die Handwerker, die nach den Konfirmationen hier beim PGH angerückt sind, nur streichen!

 

Kirche bauen ist nicht so einfach. – Wenn wir mal vom Handwerklichen zum Theologischen kommen, vom Gebäude „Kirche“ zur Kirche als Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern – dann verhält es sich nicht anders:

Da besteht die Kirche aus mindestens ebenso vielen kleinen Steinchen wie der Berliner Dom im Legoland:

Viele Hände helfen hier mit, dass an diesem Ort „Kirche“ stattfindet: Gottesdienste, Krabbelgruppe, Chor.

Viele Herzen hängen an diesem Kirchraum, aber sicher noch mehr an den Menschen, die man hier trifft: die anderen Frauenhilfsfrauen. Die anderen Konfis. Die anderen Hauptamtlichen …

Und viel Kopfzerbrechen treibt die umher, ja gerade die, die oft hier sind und aktiv mitmachen. Denn: Kirche bauen ist gar nicht so einfach: Wie kommen Alte mit Jungen aus? Wie sollen die Gottesdienste aussehen, wo Lebensthemen, Musikgeschmack, Glaube so unterschiedlich ausgeprägt sind? Welche Themen sollen auf’s Taublau? Soll’s frommer zugehen oder sozialkritischer? Oder sind das die falschen Alternativen?

 

Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche. Und das Geburtstagsgeschenk – das machen wir uns nicht selber, das macht uns auch kein anderer Mensch, sondern das macht uns allein Gott: Gott baut.

 

Und die Frage an Pfingsten lautet weniger: Wie schwer ist es, in de Legosteinen den Berliner Dom nachzubauen?

Sondern: Wie baut Gott seine Kirche? Und welche Rolle spielen wir?

 

Ich lese Verse aus dem 8. Kapitel des Römerbriefes:

14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.

15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! [a]

16 Der [a] Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind.

17 Sind wir aber [a] Kinder, so sind wir auch [b] Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

 

Wie baut Gott seine Kirche? Und welche Rolle spielen wir?

 

1.

Gott baut seine Kirche, indem er seinen Geist aussendet.

Damals erreicht er die Jüngern Jesu, die traurig, orientierungslos durch die Welt stolperten, nachdem Jesus zum Himmel aufgefahren war. Damals bläst Gott diesen ersten Christen frischen Wind in die Segel: Sie beginnen zu predigen darüber, was Gott ihnen Gutes getan hat durch Jesu. Und sie werden verstanden. Sprachbarrieren gibt es nicht mehr.

 

Der Geist Gottes beginnt, seine Kirche zu bauen.

Gott selber baut Kirche durch seinen Geist.

Nicht der Mensch. Gott!

 

Wenn man das bedenkt:

Was steckt darin für Erleichterung: Gott baut, wo wir uns oft abmühen, hier, eine gute Gemeinde Jesu Christi zu sein, einladend, offen, aber oft genug am Rande ihrer Kraft.

Was steckt darin für eine große Provokation: Gott baut, wo uns oft genug gesagt wird, Verordnungen, Kirchengesetze, gut gemeinte Reformvorlagen machten Kirche aus.

Und schließlich: Was steckt darin auch für eine große Gefahr für uns: Gott baut. Also müssen wir uns um nichts kümmern. So kann das wohl nicht meint sein.

 

Liebe Gemeinde, besonders, liebe Tauffamilien,

wir haben heute zwei Kinder getauft. Sie gehören von nun an zur Gemeinde Jesu Christi. Sie setzen die Reihe derjenigen Menschen fort, von denen die Bibel: Sie hat der Geist Gottes ergriffen.

Viele Gaben, so beschreibt Paulus an anderer Stelle die Gemeinde. Aber: ein Geist.

Was für uns oft eine Wunschvorstellung ist – alle Begabungen unserer Gemeinde unter einen Hut zu bekommen -, das ist bei Gott möglich.

 

  1. Gott baut seine Kirche, indem er uns zu Gottes Kindern macht.

Es wundert nicht, dass Paulus die Menschen, die vom Geist Gottes bewegt sind, Gottes Kinder nennt.

Denn Vorbild für den Glauben an Jesus Christus: das sind die Kinder und die, die glauben wie die Kinder.

Im sog. Kinderevangelium haben wir es vor dem Taufen gehört: Das Himmelreich gehört den Kindern, weil sie bedingungslos nach Liebe schreien, weil sie sich ihrem Vater und ihrer Mutter bedingungslos anvertrauen: die Hand ausstrecken, ganz selbstverständlich, und ohne die Hintergedanken, die wir Erwachsenen dabei haben. Die ihr Angewiesensein auf Liebe, Nahrung, Zuwendung einfach herausbrüllen – und sich für ihre Gefühle noch nicht schämen.

„Du bist ein Kind Gottes“ haben wir Sophie und Lion Sebastian zugesprochen. Und Paulus schreibt: Wir sind alle Kinder Gottes.

Wie hören wir Erwachsene das: „Du bist ein Kind Gottes?“

Ist uns die Tragweite dieses Satzes wirklich bewusst? – Wenn wir Kinder Gottes sind … dann ist Jesus unser Bruder: keine Heiligenfigur für den Altarraum, sondern unser Mitmensch, der mit uns durchs Leben geht: unser Weggefährte.

Und Gott: Wenn wir Kinder Gottes sind, ist er unser Vater. Kein Gott, der weit weg ist, der irgendwo am Himmel thront. Der sich von den Menschen abgewandt hat. Nein, dieser Gott will uns nahe sein. Er will eine Beziehung mit uns, eine ganz enge: Er ist nicht abgewandt, er ist mit uns verwandt.

 

So haben wir „einen kindlichen Geist empfangen“, schreibt Paulus: Der kindliche Geist setzt uns in Beziehung zu Gott. Das macht uns frei von Zwängen dieser Welt, das tröstet uns in unserem Dasein. Das gibt uns Raum zu träumen, wie es Kinder tun:

 

Im Umland von Budapest gibt es eine Touristenattraktion: Eine Bergbahn wird einzig und allein von Kindern betrieben. Der 8-jährige Bahnhofswärter legt das Signal um und pfeift den Zug an. Der 9-jährige knippst fachmännisch die Fahrkarten ab. Im Verlauf der Strecke tritt ein Mädchen am Durchfahrtbahnhof grüßend aus ihrer Station hervor. – Wer’s erlebt hat, hat in leuchtende Kinderaugen gesehen, für die sich für einige Ferientage der Traum vom Lokomotivführer erfüllt hat. Belächeln wir nicht diesen Geist, diesen kindlichen!

 

Den entsprechend gegenteiligen Geist, den Paulus den knechtische Geist nennt, kennen wir zu gut: Er weht dort, wo wir meinen, nicht wie die Kinder Gott vertrauen zu müssen. Wo wir zu Knechten und Mägden anderer werden: von politischen Ideologien, gesellschaftlichen Zwängen, anderen Menschen. An Pfingsten frage ich mich: Was für ein Geist weht inzwischen im weltoffenen Europa, wo in fast jedem Land eine ausländerfeindliche rechte Partei mitregieren darf, wie nun auch in den Niederlanden? – Wo ordnen wir uns vorschnell Meinungen unter, ohne zu fragen, wessen Geist sie entstammen?

All das macht uns unfrei, unbeweglich, unfähig, zu träumen, unfähig be-geistert zu sein. – Paradoxerweise ist die einzige Freiheit dieser Welt die Bindung an Gott: sich wie ein Kind ihm anvertrauen, hilfesuchend die Hand ausstrecken. Und dann getröstet werden.

 

  1. Gott baut seine Kirche, indem er uns zu Erben macht.

Wir erben die Erfahrung der ersten Jünger: Ihnen ist Gott in Jesus ganz nahe gekommen. Wir erben die Erfahrung der Apostel von Pfingsten: Gott schickte ihnen den Geist, der sie aufrüttelte, ermunterte, als sie traurig waren, weil Jesus nicht mehr unter ihnen war. Und wir stehen dank des Geistes in dieser lebendigen Geschichte Gottes mit den Menschen und bleiben mit Christus verbunden.

Dieses Erbe können wir weitergeben: uns untereinander, um uns gegenseitig zu stärken. Pfingsten ruft uns auf, einander Mut zuzusprechen.

Auch die Kinder, die wir getauft haben und die auch Kinder Gottes geworden sind, sollen zu tapferen und starken Menschen gemacht werden.

Insofern bauen wir sicher mit, wenn Gott seine Kirche baut. Als Erben sind wir mitverantwortlich: sollen reden über Gottes Liebe, handeln, wie Jesus es vorgemacht hat.

 

Aber in allen Versuchen, selber an der Kirche zu bauen – und sei es nun die echte oder die Kirche aus Legosteinen, sollen wir die einmalige Ausgangslage nicht vergessen: Baumeister ist Gott, der Eckstein ist Christus. Das ist Gottes Geschenk zum Geburtstag der Kirche.

Amen.