Laudatio für Heinz Mührmann / Fritz- und Ingeborg-Küster-Friedenspreis 2015

[Zusammen mit Bernhard Laß: BL] Hier stehen – so ist es ein wenig dem Zufall geschuldet – zwei Menschen aus zwei Generationen, um eine Laudatio zu halten auf einen Dritten, der noch einmal einer anderen Generation entstammt.

BL

Das ist ein gutes Symbol für alle Generationen: Menschen aus der Kriegsgeneration hat die Friedensfrage nicht losgelassen. Heinz Mührmann ist am 7. April 1933 geboren. Als der Krieg vorbei war, war er zwölf. Diese Zeit hat ihn so geprägt, so tief etwas verankert in dir, dass es ihn ein Leben lang nicht losgelassen hat: Nie wieder Krieg! Oder um es christlich zu wenden mit der Losung des Ökumenischen Rates 1948 aus der direkten Kriegserfahrung heraus: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“

Und so ist Heinz Mührmann seither „unterwegs für den Frieden“. So steht es auf seiner Visitenkarte. Und so hat er jahrzehntelang – bildlich gesprochen – seine Visitenkarten abgegeben: In vielen Entscheidungssituationen deines Lebens, lieber Heinz, ist Friedensfrage neu aufgebrochen. Und dann hast Du Menschen mitgenommen und geprägt; du hast sie herausgefordert, ihre eigene Haltung zum Frieden zu finden:

  • DK

Menschen Deiner Generation bei der Frage der Wiederbewaffnung der jungen Bundesrepublik und dem Ost-West-Konflikt: Du berichtest gerne über den Kirchentag in Leipzig 1954, der noch vor dem Mauerbau Menschen von hier und dort zusammenbrachte, aber schon von der Zerrissenheit des Kalten Kriegs geprägt war. Heinz Mührmann hat – anders als viele seiner Zeitgenossen – sich nicht um Mauern geschert: Er versuchte 1964 ein Ost-West-Sportfest in Nachrodt auf die Beine zu stellen, aber es gab keinen offiziellen Sportkontakt beider deutschen Staates, und so scheiterte das Fest an der diplomatischen Lage. Mührmann reiste 1973 zum Weltkongress der Friedenskräfte nach Moskau, an dem er mit der Begründerin dieses Friedenspreises, Ingeborg Küster, teilnahm, an der Seite des Theologen Martin Niemöller, der ihn besonders prägte als ein menschliches Vorbild, als streitbarer Theologe und überzeugter Pazifist.

  • BL

Menschen der Generation von Bernhard Laß hat Heinz Mührmann spätestens in der Zeit der Ostermärschen und den Protest gegen die Pershings herausgefordert, gefördert und begleitet: Es wurde geschwiegen für den Frieden. Und getrommelt. In einem Plan für eine Demo hieß es: „Es ertönt eine Sirene. Alle lassen sich zu Boden fallen. Es wird ein Gedicht gelesen. Danach stehen wir auf, und es geht weiter.“

Es gibt viele Fotos aus dieser Zeit, die Heinz Mührmann im Gespräch zeigen: mit Passanten und Demonstranten, mit Politikern – auch anderer politischen Meinungen- wie dem damaligen Verteidigungsminister Manfred Wörner. Die Friedensinitiative mischte sich in die Frage öffentlicher Bundeswehrgelöbnisse ein. Die Tschernobyl-Arbeit begann noch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs.

  • DK

Menschen der Generation von Dietmar Kehlbreier haben in Heinz Mührmann einen Menschen kennen gelernt, der so etwas wie einen inneren Kompass in den diffizilen friedensethischen Konflikten unserer Zeit vorgeben konnte: für die Zeit seit dem 11.9.2001, den Kriegen in Afghanistan und dem Irak.

In den letzten Jahren sind zähe und treue Friedensfreunde gefragt, die immer wieder neu dem Frieden eine vorrangige Option einräumen. Und Heinz Mührmann war und ist mir so solcher Ansprechpartner. Denn die Themen brechen immer wieder auf, in meiner Zeit in Altena war es die Atomkatastrophe von Fukushima oder das Gedenken an den Überfall auf die Sowjetunion auf unserem Mühlendorf-Friedhof oder die Erinnerung an 100 Jahre Friedensbewegung im Burggymnasium – dann immer war Heinz  Mührmann da und sein konsequentes Eintreten für den Frieden hat abgefärbt, das eigene Nachdenken inspiriert und auch den eigenen Kompass neu ausgerichtet.

BL

Heinz, Dein Engagement hat also über die Generationen hinweg Menschen bewegt. Die Fragen sind von Zeit zu Zeit anderen geworden – deine Antwort war stets eindeutig: Frieden hat Vorrang! In einem Deiner Texte heißt es kurz und bündig – wie so oft: „Ächtet den Krieg und die Rüstung – denn Leben ist besser als der Tod.“

Die Themen waren verschiedene, aber Deine Haltung war durch die Jahrzehnte die gleiche: Du tratest und trittst für den Frieden ein: beharrlich und entschieden – aber immer freundlich. Mutig nach außen, aber auch nachdenklich und selbstkritisch nach innen. Mit der Waffe des Arguments – auch wenn es teils heftige Auseinandersetzungen gab. Mit Stift und Papier – denn Du hast vielen Verantwortungsträgern geschrieben, und bis auf den Papst haben auch die meisten zurückgeschrieben.

Wer Zeitungsartikel aus den verschiedenen Zeit liest – und Heinz Mührmann hat sie alle säuberlich aufbewahrt -, der sieht einen Friedensstreiter, wie er auch heute noch auftritt: mit Transparent oder selbst gebastelten Schild. Früher auch mit Megaphon. Hin und wieder mit Mundharmonika, fast immer aber an der Seite von Frank Neuhaus mit Gitarre und Gesang.

 

II.

DK

Das Leben von Heinz Mührmann ist viel von unterschiedlichem Engagement geprägt, von viel Vielfalt: Er besuchte die Volksschule, lernte den Beruf des Schneiders. 1952 kam er als Drahtprüfer zur Westfälischen Union (später Thyssen Draht). Er gehörte in seinem Berufsleben über 30 Jahre dem Betriebsrat an, vier Jahre als stellvertretender Vorsitzender und 10 Jahre als Vorsitzender: „Thyssen-Draht darf nicht ausbluten“ – noch so ein markanter Slogan, den er prägte.

Er engagierte sich in der Region an vielen Stellen: in der Jugendarbeit des CVJM Nachrodt in den 1950er-Jahren. Er war Mitbegründer des Mozambique-Kreises in Altena und der Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstung Märkischer Kreis (1981). Er wirkte in den 1990er-Jahren am „Cafe international“ mit und an der Partnerschaft der Stadt Altena mit Pisnk (1992).

Aber was ist Heinz Mührmann in alle dem? Was treibt ihn?

Ich möchte eine Geschichte weitererzählen, die Du, lieber Heinz, mir erzählt hast: Du hattest in den CVJM Nachrodt Anfang der 60er-Jahre den bereits erwähnten Martin Niemöller eingeladen, den einst Deutschnationalen, der gegen die Gleichschaltung der Evangelischen Kirche in der Nazi.Zeit den Pfarrernotbund gründete, aus dem die Bekennenden Kirche entstand. Niemöller war einer der umstrittensten Personen des Nachkriegsprotestantismus, weil er für einen radikalen Neuanfang stand: für Versöhnung gegenüber der weltweiten Ökumene, für die junge Friedensbewegung, er stand gegen die atomare Wiederbewaffnung.

Und nun sollte er in Nachrodt reden, als Person, die viele in die Ecke der Kommunisten stellten. Im CVJM.

Du hattest das in die Hand genommen und entsprechend Schelte eingesteckt. Der Saal war voll, alle wollten sehen, was passiert. Und nun kam er nicht. Beziehungsweise viel zu spät, weil er eine Reifenpanne hatte.

Alle erwarten einen politischen Vortrag, den man womöglich in der Luft zerrissen hätte. Aber: Martin Niemöller hielt zum Thema der „öffentlichen Verantwortung der Kirche“ eine Bibelstunde. Nicht mehr, nicht weniger.

Er grundierte die öffentliche Verantwortung des Christen mit der Bibel – und er überraschte seine Zuhörer und traf den Nerv von Heinz Mührmann wohl so sehr, dass der Kontakt, die Freundschaft zwischen Heinz Mührmann und Martin Niemöller ein Leben lang anhielt: Der Christ schöpft aus der Bibel und kann öffentlich Stellung beziehen und politisch, parteiisch sein.

„Ich könnte kein Kommunist sein, ich bin doch Christ!“ hast Du, lieber Heinz, im Zusammenhang mit dem Moskauer Weltkongress 1973 gesagt. Und gleichzeitig hast du, wenn Martin Niemöller Dir einen Brief schrieb mit der Anrede „Lieber Bruder Mührmann“ immer geschmunzelt und gesagt: Lieber Bruder? Ich bin doch ein einfacher Arbeiter!“

Es ist diese tiefe Durchdringung beider Lebensbereiche, die manch andere voneinander getrennt sehen wollen: christlich zu sein und gleichzeitig politisch Dem Jesus von Nazareth zu glauben, wie er es in der Bergpredigt ausdrückt: „Glücklich sind die Friedfertigen!“

So bringst Du Frieden mit Gerechtigkeit zusammen und prangerst den Hunger auf der Welt genauso an wie die Tatsache, dass Menschen zu Waffen greifen. Du konntest nicht der Clown Pico sein mit deiner Lebensfreude und Zuversicht, ohne nicht gleichzeitig an die sterbenden Kinder dieser Welt zu erinnern!

Du hast immer die Heimatliebe zu Altena – und dieser Stadt hast Du ja ein eigenes Lied gewidmet – verbunden mit der Sicht auf die Welt.

Du konntest deine Position nicht vehement vertreten, ohne auch von Versöhnung zu sprechen. Dich rührten die Tränen eines Volkspolizisten beim Kirchentag in Leipzig, als ihr gemeinsam „nun danket alle Gott“ sanget. So, als sein dies der Resonanzraum, in dem alles möglich wird, der gemeinsame Hoffnungsbogen über Gegensätze und Trennungen hinweg.

Du hast reale Politik gemacht und bist stets angetrieben gewesen von einer christlichen Hoffnung, dass der Mensch zur Umkehr fähig ist: „Solange wir miteinander reden, schießen wir nicht aufeinander“, lautet eine Deiner Überzeugungen.

 

III.

BL

Hier stehen und sitzen verschiedene Generationen zusammen. Es geht heute um einen Preis, aber viel mehr um die Ehrung eines sehr langen Engagements für den Frieden.

War der Einsatz so richtig? War es nicht manchmal naiv?

„Nein“, sagt Heinz Mührmann: „Ich würde es immer wieder so tun!“

Und daraus spricht viel Mut und innere Stärke. Das wünsche ich mir auch für die heutigen und die kommenden Generationen. Die Herausforderungen sind groß: in unserem Land, in der Welt. Menschen kommen neu zu uns, und wir sehen, dass die Welt nicht so ist, dass jeder gut in seiner Heimat leben kann, sondern oft fliehen muss, um zu überleben.

Wir kommen schnell auf die aktuellen Herausforderungen von Frieden und Gerechtigkeit. Und in diesen Herausforderungen ist ein klarer Kompass von Menschenfreundlichkeit und von Mut von Nöten. „Wir haben zu viel Angst“, sagt Heinz Mührmann.

So wünsche ich uns allen ein wenig mehr Mut und Willen zum Frieden, der immer ein Wagnis ist und tatsächlich immer bei uns selbst beginnt.

„Unterwegs für den Frieden“: Wenn wir heute dankbar auf das Engagement von Heinz Mührmann schauen, dann ist das weit mehr als nur ein Slogan auf einer Visitenkarte. Es ist ein Lebensmotto, das es verdient, mit dem Fritz- und Ingeborg-Küster-Friedenspreises 2015 ausgezeichnet zu werden.