Rede zur Mahnwache nach der Fukushima-Katastrophe

Die Bilder aus Japan beschreiben ein unfassbares Szenario. Wir trauen um die Opfer. Wir fürchten um die schlimmsten  Folgeschäden durch den Atomunfall. In unserer Kirche beten wir für die Opfer.

Rede zur Mahnwache

Der Initiative für Frieden und Abrüstung, 6.4.2011

Schnell überlagert die aktuelle Nachrichtenlage das schier unendliche Leid in Japan. Doch – mit Blick auf den Reaktorunfall – passiert jetzt erst das Schlimmste.

 

Um die Frage nach Gott gleich zu beantworten: Fukushima ist keine „Katastrophe“ im Wortsinn, dass sich also Gott „herab wendet“ (Vorsilbe „kata“). Fukushima ist etwas Menschen Gemachtes. Es ist Gott nicht anzulasten. Der Mensch weiß um seine eigene Fehlbarkeit. Er weiß, dass er bei der Kernenergie mit einer Technologie hantiert, „die keine Fehler verzeiht“ (EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider).

 

Im Schatten dieses Unfalls erleben wir eine rasante Kehrtwende ehemaliger Atomkraft-Befürworter.

Es ist immer gut, eigene Haltungen zu überprüfen.

Doch es hinterlässt bisher einen faden Beigeschmack:

Seit Japan hat sich an der Sicherheitslage in Deutschland nichts geändert! Wir wissen nichts mehr, was wir seit Harrisburg und Tschernobyl wissen.

Wenn die Politik etwas gelernt hat: Bedurfte es erst dieses Unfalls, um ein Wissen real werden zu lassen, das man schon Jahrzehnte lang hat?!

Nun sehen wir Menschen, die verstrahlt werden, und es wirkt so, als hätten wir das gebraucht, um in Deutschland inne zu halten und etwas zu „verstehen“!

Das wirkt geradezu zynisch!

 

Der Nuklaearexperte Michael Sailer hat gesagt: „Ich wollte nie recht haben“, doch: In Japan laufe fast alles drehbuchartig ab, was Risikostudien lange vorausgesagt hätten.[1] Das macht die Sache noch viel schwerer erträglich, als sie ohnehin schon ist.

 

Auch ich will nicht recht haben.

Aber ich will genau hinschauen, welche Meinungsmacher in den kommenden Wochen eine klare Grundüberzeugung offenbaren und welche nicht.

 

Ein Zitat: „Wegen der großen, vielfältigen und nicht mit Sicherheit beherrschbaren Gefahren der Kernenergie […] ist die weitere Nutzung der Kernenergie zu unserer Energieversorgung mit dem uns gegebenen Auftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren, nicht zu vereinbaren.“

 

Das ist ein Beschluss der EKvW, nicht nach dem 11. März 2011, sondern vom 14. November 1986. Direkt nach Tschernobyl. Darauf bin ich stolz. Ich stehe hier als Pfarrer einer Kirche, die sich immer wieder rechtfertigen musste wegen ihrer kritischen Haltung zur Kernenergie.

 

In unserer Kirche engagieren sich Menschen für Strahlenopfer – v.a. Kinder! – in Tschernobyl. Aus den persönlichen Begegnungen ist eine Glaubenshaltung erwachsen: Das Zerstörungspotential der Kernenergie ist mit dem Schöpfungsauftrag nicht übereinzubringen.

 

 

(2)

 

Nun ist im vergangenen Herbst der mühselig gefundene gesellschaftliche Konsens zum Atomausstieg aufgekündigt worden. Es ist Zeit, nochmals wesentliche Argumente zu wiederholen, die gegen die zivile Nutzung der Atomkraft sprechen, und schon vor Japan dagegen sprachen: [2]

 

Ohne Atomkraft sei die Versorgungssicherheit in Deutschland gefährdet:

Fakt ist: Die AKWs in Deutschland produzieren zu viel Strom. Er wird exportiert.

AKWs machen uns nicht unabhängig vom Ausland: 100% des Urans müssen importiert werden! Unabhängig ist nur regenerative Energie!

 

Atomkraft sei „billiger“

Fakt ist: Atomstrom ist nur billiger, wenn nicht alle Kosten eingerechnet werden.

Noch heute verwendet die Ukraine für die Folgekosten von Tschernobyl jährlich 5% ihres BIP.

Für die Lagerung unseres Nukelar-Abfalls bezahlte der Steuerzahler bisher mehrere Mrd. EUR.

Die Stromkonzerne entziehen sich der Haftung. Würde man nur annähernd das Risiko eines GAUs versichern, wäre Atomstrom nicht mehr konkurrenzfähig zu regenerativer Energie.

In der Problematik des Haftungsausschluss begegnet uns ein grundsätzliches Problem unserer wirtschaftlichen Globalisierung: Risiken werden sozialisiert, Gewinne privatisiert.

 

 

Atomenergie sei eine „Brückentechnologie“:

Fakt ist: Atomkraftwerke sind keine Brücke in eine risikoarme, nachhaltige Energiezukunft. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass AKWs gerade diesen Übergang verhindern: Laufzeitverlängerungen zementieren das Monopol der großen Energiekonzerne. Sie verhindern Dynamik beim Umstieg in erneuerbare Energien, in mehr Energieeffizienz und weniger Energieverbrauch!

Zur Ehrlichkeit gehört auch: Für die Energiekonzerne bringt ein abgeschriebenes AKW rund 1 Mio. EUR Gewinn pro Tag.

 

 

Erlauben Sie zwei Argumente auch mit einer theologischen Zuspitzung hervorzuheben:

  • Das sog. Restrisiko für mich schon jetzt das Unwort des Jahres: Wir wissen um die Fehlbarkeit des Menschen. Wir wissen auch um die Anmaßung des Menschen, über seine Grenze zu gehen.

In der Bibel ist die Paradiesgeschichte achetypisch, wo der Mensch es nicht lassen kann, vom Baum der Erkenntnis zu essen.

„Restrisiko“ bedeutet, die Unbewohnbarkeit ganzer Regionen, die Beeinflussung der Nahrungskette auf Generationen zu riskieren. Wer kann das verantworten?

Präses Alfred Buß: „Kernenergie ist ein Zeichen menschlicher Verantwortungslosigkeit. […]Wir können keine Verantwortung übernehmen für etwas, was kein Mensch beherrscht.“[3]

  • das Problem der Entlagerung: Die Entsorgung ist bis heute nicht geklärt und kann auch nicht geklärt werden, weil niemand eine sichere Lagerung über Hunderte oder Tausende von Jahren garantieren kann. Eine Ethik der Nachhaltigkeit fragt aber danach, in wie weit unsere Lebensweise Rücksicht auf zukünftige Generationen Dieser Grundsatz wird elementar verletzt.[4]

 

 

 

(3)

Lassen Sie uns die nötige politische und gesellschaftliche Debatte führen. Für mich heißt das:

 

  1. Die Laufzeitverlängerung zurücknehmen! Rückkehr – mindestens! – zum Atomkonsens aus dem Jahre 2000! Die Restlaufverlängerung bremst die Bemühungen um die Engeriewende! Dabei sind erneuerbare Energien Wachstumsmotor: Bisher sind in Deutschland 000 Arbeitsplätze entstanden. Gerade Technologie aus NRW ist weltweit gefragt.

 

 

 

  1. Wir brauchen eine andere Gesprächskultur: Keine Verhandlungen mehr in Nachtsitzungen zwischen Politik und Atom-Lobby! Sondern einen demokratischen Prozess, in den Parlamenten, auch auf den Straßen – etwa zu Ostern – , Debatten an Runden Tische und öffentlichen Orte: für einen neuen gesellschaftlichen Konsens.

 

  1. Wir brauchen einen neuen – nachhaltigen – Lebensstil, eine Ethik des Genugs gegenüber einem eindimensionalen Wachstumsbegriff auf Kosten der endlichen Ressourcen unserer Erde. Denn Fukushima wird – wie Tschernobyl – für unsere Generationen stehen und die Frage, welche Lebensperspektiven wir unseren Kindern und Enkelkinder hinterlassen.

[1] FR, 31.3.10.

[2] Atomkraft sei „weltweiter Trend“:

Die Zahl weltweiter AKWs geht zurück. Atomstrom deckt nur 13% des weltweiten Verbrauchs (anderswo lese ich: 2%).

 

[3] Es gibt weltweit kaum Erfahrungen mit Laufzeiten über 25 Jahre!

461 meldungspflichtige Zwischenfälle in Brunsbüttel seit Betriebsbeginn!

In Schweden kam es 2007 im AKW Forsmark zu einem ernsten Storfall

 

[4] Die im Energiekonzept festgelegte Laufzeitverlängerung um durchschnittlich zwölf Jahre führt zu einer Vergrößerung des hochradioaktiven Atommüllaufkommens von ca. 11.000 auf über 16.000 Tonnen. Die Endlagerfrage hat bisher keine Regierung – egal welcher Zusammensetzung – gelöst.