Jesus malt im Sand – Zu Joh 8,1-11

Was sagst du dazu? fragen sie: Ehebruch, gegen das Gesetz! Todesstrafe! Was sagst du dazu? fragen sie Jesus, wissend dass sie mit ihrer Empörung und ihrer Welle / Recht haben. Ihre Empörung ist wohl gesetzt, die Öffentlichkeit wohl inszeniert.(Ansprache Abendmahlsandacht zur Leitungskonferenz dre Diakonie, Feburar 2020)

Er, der Gutmensch, der immer mit der Barmherzigkeit und dem Verzeihen kommt, dem mit „seiner Nächstenliebe“ die Herzen der Zuhörer zufliegen: Wenn du dich wirklich so gut in der Tora auskennt, wie du immer tust, dann zeig jetzt klare Kante: Was sagst du dazu? Wenn jetzt nicht die Brandmauer steht gegen die Sünde und diese Sünderin …

 

Das „Was sagt du / dazu“ ist von Anfang an ein „Was sagst du dazu?“

 

So, Jesus, jetzt wollen wir mal sehen, wie du dich da rauswindest: Sagt er, nein, ihr sollt sie nicht steinigen, dann hat er Gottes Gebot gegen sich und muss selbst aus der Gemeinde ausgeschlossen werden. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

 

Sagt er, steinigt sie, dann glaubt ihm keiner mehr, was seine Zeitgenossen so fasziniert: dass Liebe stärker ist als Gewalt, Umkehr möglich ist in Todesnot.

 

Was für eine Spannung, im wörtlichen Sinne. Was für eine Provokation. Was für eine Machtprobe.

 

 

II.

Und Jesus … – und das ist mein Blick auf die Geschichte heute: Was tut Jesus?

 

„Er beugt sich herab und schreibt mit dem Finger auf die Erde.“

 

Was er schreibt, erfahren wir nicht. Es scheint auch nicht wichtig. – Jesus hält inne. Er gewinnt Zeit. Und: Er ändert seine Perspektive auf seine Widersacher: Er bückt sich, beschaut sich die Situation von unten.

 

Die Spannung bleibt, vielleicht steigt sie sogar. Aber erst einmal nicht provozieren lassen.

 

Er antwortet noch nicht, obwohl er weiß, dass er nicht schweigen kann. Er wird nicht unentschieden bleiben, aber er lässt sie einmal ins Leere laufen. Warum sofort über dieses Stöckchen springen?

 

Und worum geht es hier überhaupt?, könnte Jesus denken. Geht es seinen Kontrahenten um das Gebot Gottes? Bei genauerer Betrachtung ist die Tora nur bei wörtlichem Gebrauch so eindeutig. – Geht es ihnen um die Frau? Dann müssten sie auch den zugehörigen Mann herbeizerren, der ebenfalls dran glauben müsste, aber anscheinend über alle Berge ist.

 

Nein, es geht ihn doch nur um Jesus. Die Frau ist nur Sündenbock. Das Gebot Gottes nur Mittel zum Zweck. Sie werden ihn jagen. So haben sie es seit seinen Worten und Taten angekündigt haben.

 

 

III.

Jesus lässt sich nicht auf falsche Alternativen ein, auf kein einfaches Entweder-Oder. Als sie nachsetzen, erhebt er sich: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ – Und bückt sich wieder und schreibt weiter: Er bricht wieder den Blickkontakt ab, diesmal um sie nicht zu beschämen und nicht seinerseits mit dem Finger auf sie zu zeigen. Sie können selber frei entscheiden, ob sie von diesem Satz getroffen sind oder nicht. Sie können den Blick von Jesus nehmen und auf sich selbst blicken. Wahrscheinlich fällt ihn Einiges ein, denn schließlich gehen sie unverrichteter Dinge fort.

 

Das diese Gesetzeslehrer das tun, ist bemerkenswert. Es unterscheidet sie von vielen: Keine Ausreden, keine Selbstrechtfertigung, keine weitere Eskalation, keine Aggression. Ja, sie kennen letztlich doch ihre Tora, sie lassen sich überführen. Jesus wahrt ihr Gesicht, und gibt ihnen die Gelegenheit wegzugehen.

 

Sie verpassen das zweite Bemerkenswerte: Jesus entscheidet sich zu einer klaren Haltung gegenüber der Frau und gegenüber dem, was sie getan hat – und zwar genau in dieser Unterscheidung: „Dich [als Person, als Mensch] hat keiner verdammt – so tue ich es auch nicht.“ Und gleichzeitig sagt er: „Geh hin und sündige hinfort nicht mehr“, also: „Tu dies nicht wieder!“

 

Das ist die ur-evangelische Unterscheidung: Gott liebt die Sünder/die Sünderin, aber er hasst die Sünde. Jesus zieht eine klare rote Linie, was das Verhalten dieser Frau angeht, aber er moralisiert oder verurteilt gar nicht nach hinten, sondern ermöglicht einen neuen Weg nach vorne. Und er zieht er eine klare grüne Linie: pro Mensch, der sich – wieder reformatorisch gesprochen – nicht vor Gott bestehen muss, auch gar nicht kann, sondern von ihm freigesprochen wird. So frei geht diese Frau dann wohl hin. Was sie aus dieser Freiheit macht?

 

IV.

Viele von uns werden „Miteinander reden“ von Friedemann Schulz von Thun gelesen haben. In einer Fortsetzung vor einigen Jahren hat er sein Kommunikationsmodell nochmals erweitert. Mir fiel es zu dieser Geschichte ein und zu dem, was uns v.a. morgen früh erwartet. Schulz von Thun unterscheidet beim Umgang mit Konflikten drei Sprossen einer Leiter. „Verstehen“, „Verständnis haben“ „Einverstanden sein“.

 

Tatsächlich „versteht“ Jesus, was die Gesetzestreuen wollen und was sie bewegt und malt daher abwartend im Sand. Er duckt sich nicht weg, als es darum geht, Verständnis oder kein Verständnis zu zeigen – „wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Und dann drückt er parteilich für die Frau aus, dass er nicht mit der Vorverurteilung einverstanden ist.

 

Wir teilen gleich Brot und Kelch. Wir festigen unsere Gemeinschaft. Das tut immer not. Ich wünsche mir, dass wir beieinander bleiben, auch wenn wir uns mal auseinandersetzen. Dass wir neu finden, wenn wir uns verlieren. Dass wir eine „kämpfende Liebe“ entdecken, wenn es um den Menschen geht (Karl Jasper). Und: Dass wir uns an diesem Jesus von Nazareth orientieren können, der an manchem Punkt eben nichtmehr alles ausdiskutiert, sondern einfach mit den Fingern im Sand malt…