Knoten im Taschentuch (Osternnacht zu 2Tim 2,8)

Mein Großvater war ein weiser, sorgsamer, ja akribischer Mann: Er hatte allerlei Zettel, woran er denken musste – Einkäufe auf einen kleinen grünen Zettel. Aufgaben in der Wohnung: rot.

Predigt – Lutherkirche

Osternacht 2014 #2Tim 2,8

 

Haushaltsbuch: kleine blaue Zettel. Die Zettel wurden in einer Schublade in der Küche sorgfältig gesammelt.

 

Zu dem akuraten Mann gehörte auch, dass er noch echte Stofftaschentücher in der Tasche hatte, die er sauber faltete. Einmal entdeckte ich als kleiner Junge aber, dass er einen Knoten hineingemacht hatte. „Damit ich was Wichtiges nicht vergessen!“ sagte er. Mir schien, es war was viel Wichtigeres als auf den Zetteln in der Küchenschublade festgehalten wurde. Etwas, was man immer dabei hat und dicht am Körper trägt…

 

II.

„Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten!“ (2Tim 2,8a)

 

So lapidar und einfach, aber so existentiell wichtig schreibt es der Verfasser des 2.Tim. Er schreibt das Jahre nach dem Leben Jesu, als er selbst – wahrscheinlich um seines Glaubens wegen – im Gefängnis sitzt.

Mit seinen Worten ermuntert er den Timotheus, sich quasi einen Knoten ins Taschentuch zu machen: Nimm immer mit und hab eng bei dir, was es mit Jesus, dem Christus, auf sich hat. Wie seine Geschichte war. Welch eigentümliche Kraft im Glauben an ihn liegt für dein Leben! Du wirst es brauchen können – Du musst es aber auch erinnern! Denn wie schnell kann ein Erlebnis, auch ein Mensch in Vergessenheit geraten! Wie schnell verblasst ein Menschenleben, wenn man es nicht im Gedächtnis behält! Ellie Wiesel, der jüdische Pihilosoph, hat einmal gesagt: „Das Gegenteil von Erinnern ist nicht Vergessen, sondern Gleichgültigkeit.“ – Wir erleben natürlich in unserer Zeit auch viel Gleichgültigkeit, wenn wir versuchen, uns an Jesus Christus zu erinnern. Aber gerade deshalb ist es wichtig – und etwas besonders Wertvolles!

 

II.

Wir tun das seit 2.000 Jahren.

Wir stellen uns in die Reihe der ersten Jünger und Apostel, die nicht aufhören konnten von dem zu reden, was sie selbst gehört und gesehen haben: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird die Frohe Botschaft verkündigt (Mt 11,5).

Denkt an Zachäus, den Zöllner, wie sich sein Leben durch Jesus änderte. Oder denkt an das Gleichnis vom Verlorenen Sohn, wo es durch die Vergebungsbereitschaft des Vaters ein Zurück für den Sohn gibt. So ist Gott. Und davon hat Jesus erzählt.

 

II.

„Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten!“ (2Tim 2,8a)

 

Die Osternacht ist der erste und vornehmste Ort für unsere Erinnerung an Jesus, den Christus.

Wir haben die Worte des Evangelisten Matthäus gehört, der die Geschichte aufgeschrieben hat, wie die Frauen am Ostermorgen zum Grab kommen – zunächst traurig, weil die Sache Jesu ein für alle Mal zu Ende zu sein scheint. Was dann genau passiert ist, wissen wir nicht. Sicher verstehen wir es auch nicht in Gänze. Aber wir merken doch etwas von der ungemeinen Freude, diesem absoluten Sinneswandeln der Frauen. Wir spüren die neue Hoffnung, die sie plötzlich – inmitten aller Traurigkeit – erfüllt: Der Herr ist auferstanden!

 

Wir setzen quasi die östliche Brille auf. Und wir rufen uns mit der Osterfreude der Frauen Jesus ins Gedächtnis, der nicht der Gekreuzigte allein geblieben ist, sondern der Auferweckte wurde.

 

Aus dem MtEv, nur wenige Sätze später, hören wir gleich den Taufauftrag, den der Auferstandene selber an seine Jünger spricht. Tauft die Menschen! Das tun wir bis heute – und holen Menschen in unsere Erinnerungsgemeinschaft hinein.

 

„Lehrt sie halten alles, was ich euch beigebracht habe!“ – Das ist ja die Aufforderung des Auferstandenen selbst, einen Knoten ins Taschentuch zu machen: Sagt allen weiter, was ich euch beigebracht habe – fangt also gleich am Ende des Evangeliums wieder vorne an zu lesen. Aber lest in dem Bewusstsein, wie diese Geschichte geendet hat: nicht am Kreuz, mit dem völligen Ende der Geschichte Jesu – und damit auch mit dem Scheitern des liebenden Gottes. Sondern lest sie mit der österliche Brille, mit der Freude der Frauen im Herzen!

 

III.

Daher ist der Zusatz im 2Tim 2,8 auch so entscheidend und gehört mit in unsere Erinnerung geflochten: „Haltet im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten.“

 

Ohne diesen Zusatz wäre Jesus allein ein ehrenwerter, guter Mensch gewesen. Das wäre nicht wenig, es fehlt heute oft an Menschen, die sich füreinander einsetzen, ohne Blick auf ihren eigenen Vorteil, die helfen und aufrichten, Grenzen überwinden, ohne großes Aufhebens. Man könnte sich sicher auch an Jesus orientieren – und das tun wir hoffentlich auch!

 

Aber dieser Erinnerung – allein an den Menschen Jesu zu Lebzeiten – würde etwas Entscheidendes fehlen – und darum brauchen wir den Zusatz „der auferstanden ist von den Toten“:

 

Zum einen: In der Auferweckung hat Gott Recht gesprochen über alles Unrecht, was bei der Kreuzigung Jesu vor Augen steht – und womit die Geschichte Jesu nicht enden sollte! Am Ende siegt das Leben über dem Tod, die Gerechtigkeit über das Unrecht, das Menschen sich antun können. Welch eine Hoffnung!

 

Zum anderen – und damit sind wir wieder beim Knoten in unserem Taschentuch: Mit Ostern ist die Erinnerung an Jesus zu aller erst kein Blick zurück in eine Vergangenheit, die 2.000 Jahre zurückliegt. Sondern es ist eine Vergegenwärtigung: Durch die Auferweckung habe ich den Auferstandene in meinem Leben an meiner Seite.

Er rührt in mir Hoffnung auf unvergängliches neues Leben. Dass der Tod mir nicht den Mut und die Kraft nimmt, sondern ich davon zehre, dass durch Gott das Leben siegt.

 

Ein Knoten im Taschentuch weist ja auch in der Regel nicht zeitlich zurück auf etwas, was passiert ist, sondern er erinnert an etwas, was einem in der Gegenwart oder der nahen Zukunft widerfährt. Es vergegenwärtigt etwas! Und ich trage diese Vergegenwärtigung direkt an mir und mit mir herum!

 

IV.

Liebe Täuflinge,

Taufe ist so etwas wie ein sichtbarer Knoten für Euer Tachentuch. Es ist eine Einladung Gottes, seine Kinder zu werden. Als Jugendliche seid Ihr schon alt genug, Euch auch bewusst in diese Erinnerungsgemeinschaft hineinzustellen und mit allen anderen durchzubuchstabieren: Was heißt es für mein Leben, dass Jesus als Auferweckter verspricht: Ich bin bei euch alle Tage? Welche Hoffnungen können in so einem Glauben aufblühen? Welche Kraft entsteht dadurch für Euer Leben? – Ihr könnt viele Haltungen und Lebenseinstellungen Jesu versuchen zu Euren eigenen zu machen. Und darauf trauen, dass er gegenwärtig ist und euch begleitet – so wie ein Knoten im Taschentuch.

 

Alle, die schon getauft sind, seien in jedem Gottesdienst – z.B. beim Glaubensbekenntnis – daran erinnert, dass sie (im übertragenden Sinne) schon längst einen Knoten im Taschentuch mit sich tragen. Für diesen kurzen aber entscheidenden Satz: „Haltet im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten.“