Zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs (2014 zu Röm 8,31f.)

Wir erinnern uns in diesen Wochen an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren und an den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, auf den Tag genau vor 75 Jahren. Und wir sehen eine neue Kriegsgefahr hinaufsteigen, sogar wieder mitten in Europa.

Andacht zum 1. September – Weltfriedenstag

Gedenktag Ausbruch des 2. Weltkriegs, Kuratorium Ellen-Scheuner-Haus, September 2014

Römer 8,31.32

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?

Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

 

Offen wurde am Wochenende von einem russischen Krieg gegen die Ukraine gesprochen. Und dieser Konflikt wechselt sich als Top-Thema täglich ab mit dem Krieg zwischen Israel und Gaza und dem Morden der IS-Truppen im Nordirak.

 

Hier im Altenheim kennen die Menschen noch die Kriegsschrecken. Oft haben sie diese nie recht überwunden. Wenn sie davon erzählen können, dann höre ich oft zwei Lehren heraus: Dass der Krieg schneller kam, als wir dachten. Und: Der Krieg endete nicht automatisch in Frieden. Diese Erfahrung stirbt buchstäblich aus.

 

Helmut Schmidt und Sigfried Lenz, beide nicht gerade im Verdacht radikale Pazifisten zu sein, waren sich in einem gemeinsamen ZEIT-Interview (Nr. 36, S. 43) in einem einig: Auf die Frage, ob die Kriegsgefahr dadurch wachse, dass eine Generation politische Verantwortung trägt, die den Krieg nicht aus eigener Erfahrung kennt, antwortet Schmidt: „Ja. Kann man so sagen.“  Eine ernüchternde Bilanz für diesen Tag!

 

II.

Auf einer Tagung im ev. Tagungshaus Villigst am Wochenende fragte die WDR2-Moderator Gisela Steinhauer den ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Wolfgang Huber, warum er für Waffenlieferungen in den Irak sei, seine Amtsvorgängerin Magot Kässmann aber dagegen sei. Das wäre dem Kirchenvolk ja schwer zu vermitteln…

 

Tatsächlich gibt es keine simple Haltung. Und entsprechend stoßen sich Schmidt und Lenz daran, wie „leichtfertig“ die Politik wieder über militärisches Eingreifen spricht.

 

Margot Kässmann nimmt in der kirchlichen Landschaft einen eher den radikalen pazifistischen Standpunkt ein, erinnert an die Aussage des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“

 

Tatsächlich sollte mit dieser Gesinnung jeder Versuch erstickt werden, kriegerische Handlungen religiös zu rechtfertigen. Wenn die IS im Nordirak vermeintlich im Namen Allahs tötet und in verheerender Weise Politik und Religion in eins setzt, dann können wir als Kirchen selbstkritisch daran erinnern, dass v.a. der evangelischen Kirche diese Haltung auch nicht fern war im Ersten und Zweiten Weltkrieg: „Ist Gott mit uns – wer kann gegen uns sein?“ – Dieses Wort war in den ersten Wochen des Ersten Weltkriegs ein beliebter und gängiger Predigttext, um die Kriegsverherrlichung und die Kriegseuphorie auch religiös anzufeuern und auszudrücken: Mit Gott auf unsere Seite gegen die verhassten Nachbarvölker! Das Wort fand Eingang bis auf die Koppelschlösser der Soldatenuniformen: „Gott mit uns“.

 

Wer las den Römerbrief schon weiter:

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? 32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

 

Es klingt geradezu zynisch, aus diesem Text eine Kriegsparole zu machen und ihn zu kürzen um die Erinnerung an den gewaltsamen Tod Jesu, der ja an das Versöhnungswerk Gottes gegenüber den Menschen erinnert.

 

Auch im Zweiten Weltkrieg vermischte die Bewegung der Deutschen Christen Politik und Religion. Sie wollten das Führerprinzip auch in die Evangelische Kirche einführen. In der Barmer Erklärung von 1934 hielt die Bekennende Kirche dagegen:

„Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“

 

Insofern ist der Satz von 1948, „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ eine Abkehr, jemals wieder Krieg religiös zu rechtfertigen, überhaupt: Die Schwelle für Krieg sollte möglichst hoch gesetzt werden. Und: das übliche Denken sollte umgekehrt werden: nicht der Friedfertige hat sich zu rechtfertigen, sondern derjenige, der kriegerisch tätig wird. Nicht mehr die Frage des gerechten Krieges, sondern wie man einen Gerechten Frieden bewerkstelligen kann, sollte im Vordergrund stehen.

 

Wolfgang Huber kommt zu seinem ganz anderen Ergebnis – pro Waffenlieferungen – aber auch von diesem Grundsatz des „Gerechten Friedens“ her: Er fragt aber stark verantwortungsethisch: Wie würde ich mich selber in politischer Verantwortung entscheiden, wenn man abwägen müsste? Unterlassene Hilfeleistung sei eben auch eine Schuld. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ schließt für ihn ein, „dass man auch nicht töten lässt“.

 

III.

So kann aus der Bibel unterschiedliche Konsequenzen gezogen werden. Das macht die Sache schwierig. Es macht es auch zu einer Gewissensentscheidung.

 

Zu welchem Urteil man auch immer kommt: Der „Pazifist“ im Wortsinn – der Begriff ist aus der Seligpreisung abgeleitet: „Selig sind die „Friedfertigen“/lat.: pacifici – ist nie „untätig“ oder „passiv“.

Insofern ärgert mich in diesen Tagen die Diskreditierung pazifistischer Haltungen. Eine pazifistische Haltung hat nichts mit Jogamatten zu tun.

Auch das Hinhalten der linken Wange ist nichts Passives, sondern ein wacher Widerstand: Das Gegenüber hat die Möglichkeit, sein schuldhaftes Verhalten eben nicht zu wiederholen sondern zu verändern.

Die Stärke der pazifistischen Position ist, genauer nach den Kriterien für militärisches Eingreifen zu fragen. Seit der Antike stehen uns in der „Lehre des Gerechten Krieges“ solche Kriterien zu Verfügung – und somit wird die „Lehre vom gerechten Krieg“ in aller Regel zu einer Lehre für die Vermeidung von Krieg:

Mit Blick auf den Nordirak machen sie mich sehr nachdenklich und zurückhaltend:

  • Was ist die legitime Autorität? Es ist kein internationales Mandat erteilt.
  • Ist es wirklich das absolut letzte Mittel? – Hier wären wir bei den Einwänden von Schmidt und Lenz und der Frage nach der „Leichtfertigkeit“, inwieweit sich unsere Politik wieder militarisiert.
  • Gibt es einen Plan für danach? Kann der Militäreinsatz die Parteien an den Verhandlungstisch zwängen? Hier scheint mir das größte Problem zu liegen.
  • Gibt es einen gerechten Grund oder eine gerechte Absicht? – Tatsächlich droht ein Genozid, eine humanitäre Katastrophe gibt es schon – hier setzt Wolfgang Hubers Argumentation an. Aber reicht das? Und was könnte man alternativ tun?

 

IV.

Wägen wir stärker ab!

Misstrauen wir mehr den Kriegsbildern – ich lasse mich nicht irritieren von einer heroischen Verteidigungsministerin vor einem Jäger 90, und kann mich gleichzeitig nicht den Bildern aus dem Irak entziehen, die die IS teilweise selber in die Weltöffentlichkeit zerren!

Misstrauen wir der Kriegsrhetorik: Dass „die Welt sich geändert hat“ – das galt auch schon vor 100 Jahren und 75 Jahren als Kriegsgrund.

 

Für mich wäre viel entscheidender, Konflikte gar nicht so weit kommen zu lassen.

Wieder einmal scheint es für diese Erkenntnis zu spät.

Das ist das Fatale, gerade an einem Tag wie diesem.

 

EG 430,1.2