Es gibt Weihnachten – zum Glück! (Heiligabend 2008)

Es gibt Weihnachten. Zum Glück! So haben wir es gerade eben gesungen: Freuet euch, ihr Christen alle! … Freuet Euch mit großem Schalle! (EG 34)

Ansprache zur Patientenweihnachtsfeier

St. Vinzenz-Krankenhaus , 22. Dezember 2008

 

So dichtete Christian Keimann 1646, Gymnasialrektor in Zittau in der Oberlausitz. Und Andreas Hammerschmidt, Kantor in Zittau, schrieb die rasant-lebhafte Melodie dazu.

 

Freuet euch, ihr Christen alle! Freue sich wer immer kann!

 

Nicht alle können: Mitten in den Wirren des 30jährigen Krieges. Da können wir so sicher sein, wie wir auch heute ahnen: Nicht alle können laut und froh singen, kurz vor oder an Weihnachten im Krankenhaus.

 

Wonne, Wonne über Wonne, lautet dennoch (oder gerade?) dieser Weihnachts-Ruf. Wonne, das ist laut Wörterbuch etwas, was einem gut tut, ein Glücksgefühl.

 

Es gibt Weihnachten. Zum Glück! Obwohl wir uns eher „frohe Weihnachten“ wünschen als „glückliche Weihnachten“. Obwohl wir Christen – gerade ich als evangelischer Christ – gewöhnlich eher über Gnade sprechen als über Glück. Oder über Seligkeit – statt über Glücksseligkeit.

 

Dieses alte Lied aus dem 17. Jhd. hat mich herausgefordert, mich mit Blick auf Weihnachten auf Glücksuche zu begeben. Gerade im Krankenhaus. Es soll buchstäblich eine „Zu-Mutung“, eine Ermutigung sein.

 

II.

Ich nehme auf dieser Glücksuche ärztlichen Beistand mit: Dr. Eckart von Hirschhausen. (Die Ärzte unter Ihnen mögen es mir verzeihen, wenn er womöglich ein ähnliches Ansehen unter ihnen genießt wie so mancher Fernsehpastor in unserer Zunft): Von Hirschhausen ist derzeit mit einem „medizinischen Kabarett-Programm“ unterwegs. Titel: „Glücksbringer“.

 

Glück und Gesundheit hängen für ihn zusammen. Aber er differenziert – und das ist für mich entscheidend für Weihnachts-Glückmomente in einem Krankenhaus:

 

Nicht jeder, der gesund ist, ist glücklich.

Nicht jeder, der krank ist, ist unglücklich.

Aber: Wer öfter glücklich ist, ist seltener krank. Er hat weniger Affekte, Diabetes und Herzinfarkte.

 

Ärzte interessieren sich historisch schon immer dafür: Wie werden Menschen gesund? – Das ist gut, das ist zu verstehen. Was darüber hinaus doch spannend ist: Warum werden manche Leute nicht krank, obwohl sie es verdient hätten? Was machen die richtig?

Da gibt es Menschen, die werden nicht dick, obwohl sie hin und wieder etwas essen! Da gibt es Menschen, die haben auch Stress, und werden nicht depressiv!

Was kann man von denen lernen?!

 

Und dann stellt von Hirschhausen unsere bisherigen Glücksbringer als total ungeeignet hin:

 

Wer behauptet, dass vier Blätter an einem Kleeblatt mehr Glückbringen als drei? Gut, vier Blätter sind seltener. Aber was machen wir da psychologisch? Wir binden unser Glück bewusst an Dinge, die selten vorkommen! Und wundern uns, dass wir selten glücklich sind? Das haben wir uns selber eingebrockt!

 

Ob drei oder vier Blätter besser sind, ist einzig und allein die Frage unseres Standpunktes – und dem des Kleeblattes: z.B. direkt neben einem Kernkraftwerk, sind vier Blätter kein gutes Zeichen!

 

Was gibt es noch für Glückbringer? Marienkäfer! Die Hasenpfote – soll Glück bringen? Der Hase hatte vier davon – und es hat ihm nicht viel gebracht!

 

Da warten erwachsene Menschen jahrelang auf einen Ruß verschmierten Schornsteinfeger – und haben ganz vergessen: Sie haben Zentralheizung!

 

Da machen sich Leute fertig, ob eine schwarze Katze von rechts oder von links über die Straße läuft. Ob eine schwarze Katze für ihr Leben etwas bedeutet, hängt nicht von deren Laufweg ab, sondern einzig und allein von einer zentralen Frage: Bist Du Mensch oder Maus?

 

Soweit Dr. Eckart von Hirschhausen, ein Vertreter der Positiven Psychologie.

 

Ich denke auch, dass wir unser Glück viel zu häufig an Dinge oder Zustände binden. Oder dass wir uns schnell einvernehmen vom Anspruch, immer glücklich sein zu müssen. Wenn wir dann einmal unglücklich sind, denken wir: Das geht nie vorbei. Das sage ich bewusst als derzeit gesunder Mensch, der darüber sehr glücklich ist, der aber schnell unglücklich werden könnte – beileiben nicht nur aus gesundheitlichen Gründen.

 

 

III.

Wo lässt sich an Weihnachten Glück finden?

 

Weihnachten ist für mich ein Glück, weil es unseren Alltag durchbricht, ohne – paradoxerweise – losgelöst vom Alltag zu sein. Dann wäre es ja eine Droge. Weihnachten geschieht mitten in der Welt, wenn auch an einem abgelegenen Ort und dort, wo man die Geburt des Gottessohnes wohl nie vermuten würde – und gleichzeitig macht es das Glück von Maria und Josef ja gerade aus, dass genau dort – in einer Krippe – dieses Kind zur Welt kommt: ein Licht – in der Dunkelheit. Ein König – aber eben ganz weit entfernt von den Thronen der Welt.

Ähnlich paradox mag das „Wonne, Wonne über Wonne“ in den Städten des 30jährigen Krieges klingen oder auf den Stationen dieses Krankenhauses. Aber zum Glück können wir bis heute auf diese andere Wirklichkeit Gottes bauen, der in diese Welt kommt. Freuet Euch, ihr Christen alle – und gleichzeitig wissen wir um die harte Krippe und die kommende Leidengeschichte Jesu (EG 34,2).

 

Weihnachten ist für mich ein Glück, weil die Hirten und Weisen aus der Weihnachtsgeschichte in diesem einzelnen Augenblick gefangen sind: losgelöst von allem Vernünftigen lassen sie die Herde im Stich bzw. wandern mehrere hundert Kilometer einem Stern hinterher. Es zählt nur Moment, und sei es ein noch so kleiner Glücksmoment – und der hat im Nachhinein eine nachhaltige und langfristige Wirkung: „Maria bewegt(e) alle diese Worte in ihrem Herzen“. „Die Hirten kehren zurück und loben Gott“.

Im Lied heißt die Langzeitperspektive des Glücksmoments: Christus wehret allem Leide. Christus ist die Gnadensonne.

 

 

IV.

Zum Glück gibt’s Weihnachten. Und ich sage: Es gibt Weihnachten zum Glück, zum Glücklich zu sein oder Glücklichwerden.

 

Denn an Weihnachten binden nicht wir unser Glück an Dinge – und schon gar nicht an so seltene Dinge wie vierblättrige Kleeblätter. Sondern an etwas, was milliardenfach vorkommt auf diesem Planeten: Wir binden unser Glück an den Menschen und das Menschsein an sich.

 

Gott bindet unser Glück – und sein Schicksal – an ein Kind. An einen Menschen. Der Mensch steht im Mittelpunkt: einer jeden Weihnachtskrippe. Einer jeden biblischen Geschichte. Und der Mensch, auch der Mensch Jesus, steht in Beziehung zu Anderen – und daran entzünden sich solche Glücksmomente wie im Stall von Bethlehem.

 

Für mich ist Weihnachten ein Grundmuster für die Erkenntnis, dass es viel einfacher ist, den anderen glücklich zu machen als sich selber! Ich denke, dass Sie dies tun, durch medizinische und pflegerische Arbeit, aber eben auch durch Beziehungsarbeit. Dafür an dieser Stelle ein schlichtes „Danke“!

 

Glücklich werden wir in der Beziehung zu anderen – womöglich sogar unabhängig vom Grad unserer körperlichen Gesundheit oder von Krieg und Frieden wie 1646. Ganz sicher unabhängig von Dingen und Gegenständen.

 

Am Ende des Lebens zählt eigentlich nur: Wie gut sind deine Freundschaften, deine Beziehungen? Am Ende des Lebens sagt kein Mensch: Ich hätte mehr Zeit im Büro verbringen sollen!

 

Es ist viel einfacher, den anderen glücklich zu machen als sich selber! Was haben sich die Leute sich auseinandergesetzt, um den Anderen zu verstehen – Männer und Frauen verstehen – quatsch! Finde heraus, was den anderen glücklich macht. Ob du das verstehst und nicht, ist egal.

Das ist wie beim Kitzeln: Du kannst Dich nicht selber kitzeln. Warum? Der Impuls der Finger geht ins Kleinhirn und das sagt: Pass auf, wenn dich gleich etwas in der Seite berührt, erschrick nicht. Bist Du selber! –

 

Das waren nochmals geliehene Worte von Eckart von Hirschhausen.

 

Apropos „kitzeln“: Wenn es unserer Seele, diesem unerforschte „Organ“, kitzelt, heißt das in der Sprache des 17. Jahrhunderts „erquicken“. Vom Jesuskind heißt es in der vierten Strophe (EG 34,4):

„Und erquick uns alle wieder / gib der ganzen Christenschar / Frieden und ein selig Jahr.“

 

Ich wünsche Ihnen und mir, dass Weihnachten uns kitzelt und ein Glücksmoment wird, der nachhallt. Womöglich in mehr Beharrlichkeit, das eigene Glück in die Hand zu nehmen. Womöglich in der Bereitschaft, das eigene Glück beim Nächsten zu finden. Oder: sich überhaupt neu auf die Suche danach zu machen – erquickt, beglückt, erfreut von Weihnachten.

 

Amen.

 

 

Im Anschluss: EG 34,4